Schattenwolf und Mammutmaus

Die US-amerikanische Firma Colossal hat sich mit „De-Extinction“ die „Wiedererweckung ausgestorbener Tiere“ zum Ziel gesetzt. Die Wissenschaftler wollen mit molekularbiologischen Methoden das Mammut (vor 10.000 bis 15.000 Jahren ausgestorben), den Beutelwolf (oder Tasmanischer Tiger = Thylacine, letztes Exemplar 1939 gestorben), den Schattenwolf (vor 13.000 Jahren ausgestorben) und andere verlorene Arten rekonstruieren. Wie realistisch ist das und ist das noch seriöse Wissenschaft?

Wie soll das gehen?

Aus Überresten der Tiere (Knochen oder mumifizierte Exemplare) wird das Genom, die gesamte genetische Information, aus kleinen Fragmenten gelesen und bioinformatisch rekonstruiert. Das ist zwar in den letzten Jahren deutlich einfacher geworden, aber noch immer eine Sisyphos-Arbeit. Wissenschaftlich ist das interessant: es erlaubt z.B. Rückschlüsse auf die Evolution und die genetische Anpassung an Umwelteinflüsse. Colossal kann auf diesem Gebiet beachtliche Erfolge vorweisen.

Anschließend müsste das gesamte Genom (DNA) synthetisch hergestellt werden. Das ist vor etlichen Jahren erstmals bei einem Bakterium gelungen. Genome von Tieren sind wesentlich größer. Ihre Komplettsynthese wäre ungeheuer aufwändig und zurzeit kaum realisierbar.
Alternativ könnte man das Genom eines nahe verwandten Tieres, z.B. eines Elefanten, nehmen und mit dem des Mammuts vergleichen. Stück für Stück könnte dann die Elefanten-DNA in Mammut-DNA umgeschrieben werden. Will man das richtig und vollständig machen, wären vermutlich mehrere 10 Millionen Veränderungen erforderlich.
Ein (etwas) einfacherer Ansatz wäre es, „essentielle“ Mammutgene zu identifizieren und nur diese im Elefantengenom anzupassen. Prinzipiell ist die Genomanpassung mit CRISPR-Cas möglich, aber auch das müsste schrittweise vorgenommen werden, um Zwischenergebnisse beurteilen zu können. Und dabei taucht das nächste Problem auf.

Ein synthetisiertes Genom müsste in eine Eizelle transplantiert werden. Eine Genomanpassung könnte hingegen einfacher in Zellkulturen nahe verwandter Arten vorgenommen werden. Beim Mammut bietet sich der Elefant an, beim Schattenwolf werden Hunde als relativ nahe Verwandte verwendet. Beim Tasmanischen Tiger ist es etwas schwieriger: der nächste direkte Verwandte ist die Dickschwänzige Schmalfußbeutelmaus, die nur so groß wie ein Hamster ist. Ob eine solche Eizelle dann von einem weiblichen Elefanten oder Schmalfußbeutelmaus erfolgreich ausgetragen werden kann, ist eine andere Frage. Geringfügig an den Schattenwolf genetisch angepasste Hunden sind angeblich schon geboren worden. Zusätzlich arbeitet Colossal an einer künstlichen Gebärmutter für den Tasmanischen Tiger und hat auch dabei gute erste Erfolge erzielt.

Bedenkt man nun, dass Elefanten eine Tragzeit von 22 Monaten haben, und mehr als 10 Jahre bis zur Geschlechtsreife brauchen, wird das ein zeitraubendes Unternehmen! Gentechnische Veränderungen in der Grundlagenforschung sind nicht immer beim ersten Versuch erfolgreich.
Beim Modellsystem Maus (Tragzeit 20 Tage, Geschlechtsreife nach 2-3 Monaten), hält und züchtet man im Labor etliche 100 oder 1.000 Mäuse. Bei Elefanten wäre das eine große Herausforderung!

Mammuts in größerer Zahl im Labor zu halten ist eine gewisse Herausforderung.

Was wird tatsächlich bei Colossal getan?

Colossal beabsichtigt letztendlich „essentielle“ Mammutgene im Elefantengenom anzupassen bzw. einzufügen und die modifizierten Embryonen von Elefanten austragen zu lassen. Das liegt durchaus im Rahmen des Möglichen. Das Ergebnis wäre jedoch kein wiedererwecktes Mammut, sondern ein genetechnisch modifizierter Elefant – ein himmelweiter Unterschied!

Zunächst ist Colossal aber noch bescheidener: der kürzlich gemeldete „Durchbruch“ war die „Mammut-Maus“. In Wirklichkeit war das eine ziemlich normale, gentechnisch veränderte Maus, wie sie weltweit in vielen Laboren produziert werden. Ein Gen, das Haarwuchs und Haarbeschaffenheit beeinflusst, wurde so verändert, dass es der Mammutvariante entsprach. Ebenso ein weiteres Gen aus dem Fettstoffwechsel. Vier Gene wurden abgeschaltet. Andere Quellen sagen, dass insgesamt 8 Gene gleichzeitig mit CRISPR-Cas verändert wurden. Das ist zwar ganz eindrucksvoll, bei Schweinen wurden aber bereits 60 Gene in einem einzigen Schritt verändert.

Was kommt dabei heraus?

Wissenschaftlich war das Experiment ein Erfolg: die Mäuse waren gesund und das sichtbare Ziel, ein helles, lockiges und längeres Fell wurde erreicht. Ob die Veränderung des Fettstoffwechsels wie beabsichtigt funktioniert hat, wissen wir noch nicht. Ob Colossal damit wirklich einen wesentlichen Schritt auf dem Weg zum Mammut getan hat, ist eher fraglich. Die Firma ist trotzdem zuversichtlich, bis 2028 das erste Mammut vorstellen zu können – vielleicht ein blonder Elefant mit lockigen Haaren?

Der erste Erfolg von Colossal: die Mammutmaus!
Das Tier hat tatsächlich keine großen Stoßzähne, es war aber verführerisch, die KI zu bitten, eine Maus mit Mammutzähnen zu liefern.
(Bild erstellt mit Midjpurney)


Interessanter ist eher ein Ziel, das meist nur nebenbei in den Pressemitteilungen genannt wird: sowohl das längere Fell als auch die Veränderung im Fettstoffwechsel sollen die Tiere widerstandsfähiger gegen kalte Witterung machen. Wenn das wie beabsichtigt funktioniert, wäre es eine Maßnahme, um z.B. andere Nutztiere kältetoleranter zu machen – ohne gleich ein Mammut zu erzeugen. Ein weiteres Nebenprodukt dieser Arbeiten ist die Entschlüsselung alter Genome. Beim Menschen haben wir, angefangen beim Neandertaler, inzwischen viele Genome unserer Vorfahren zumindest teilweise rekonstruieren können. Das schafft interessante Einblicke in unsere Evolutionsgeschichte, in Wanderbewegungen früher menschlicher Vorfahren und auch in ihre Krankheitsgeschichte.
Trotzdem ist bisher niemand auf die Idee gekommen, die Neandertaler zu rekonstruieren, eine Population von ihnen aufzubauen und „auszuwildern“.

Wie sinnvoll ist das?

Abgesehen davon, dass weder Mammut noch Schattenwolf wieder „auferstehen“, es wären immer unvollständige Kopien des Originals. Selbst ein „Fake-Mammut“ wäre aber ein zweifelhaftes Unternehmen. Die Tiere sind vor 10.000 Jahren ausgestorben. Es ist kaum anzunehmen, dass sich ein die Tiere von heute auf morgen in einem Ökosystem durchsetzen können, das seit 10.000 Jahren kein Mammut gesehen hat.
Krankheiten, Interaktion mit anderen Tieren und Pflanzen wären bei einer Auswilderung unberechenbar.

In dem Umfang, wie Colossal die gentechnischen Eingriffe plant, wäre ein „Fake-Mummut“ eine neue Kreation (auch dann, wenn es etwas Ähnliches schon einmal gegeben hat). Das ist eine andere Dimension als die Modifikation von Nutztieren, die auf menschliche Bedürfnisse wie Landwirtschaft oder Medizin gentechnisch angepasst werden.

Der Futterbedarf der großen Tiere ist riesig – ob sie dabei mit dem Menschen in Konkurrenz treten? Schon jetzt haben in Afrika Kleinbauern Probleme mit Elefanten aus nahegelegenen Nationalparks, die gerne den gedeckten Tisch der Landwirtschaft abräumen.

Ein weiteres Problem: Anpassungen an die Umwelt sind möglich, weil Tiere (und auch Pflanzen) innerhalb einer Art eine hohe genetische Diversität haben. Ändert sich die Umwelt, so werden sich Individuen mit einer passenden genetischen Konstellation besser verbreiten und solche mit weniger vorteilhaften genetischen Varianten, werden verdrängt.
„Elefanten-Mammuts“ wären genetisch verarmt, sie hätten die genetische Variabilität von einem oder sehr wenigen „Gründertieren“ – viel zu wenig um eine stabile, anpassungsfähige Population in freier Wildbahn aufbauen zu können. Das ist anders als bei Haus- und Nutztieren, die zum Teil auch wenig genetische Variabilität haben, aber in der Obhut des Menschen gedeihen können. Eine Situation die bei Mammuts eher nicht gegeben ist.

Ihr Einsatz als Haus- oder Nutztiere unter menschlicher Kontrolle ist nicht auszuschließen aber unwahrscheinlich. Theoretisch könnten sie als Arbeitstiere und Fleischlieferanten dienen. Ob sie als natürliche Bewahrer eines Ökosystems wie der Tundra dienen können, ist auch unwahrscheinlich. Sie als Demonstrationsobjekt für das Machbare in Zoos auszustellen, ist ethisch bedenklich.

Offiziell geplant ist eine Auswilderung. Das würde ein großes, gut abgesichertes Schutzgebiet erfordern, das biologische Containment garantiert, den Ausbruch der Tiere aus diesem Gebiet also unmöglich macht. Gleichzeitig wäre über längere Zeit eine ständige Beobachtung und Betreuung durch den Menschen erforderlich, um eventuelle Umweltschäden oder den Zusammenbruch der Population zu verhindern. Auch das ist schwer realisierbar.

Eine (unvollständige) Zusammenstellung von positiven (rechte) und negativen, bzw. problematischen Aspekten (links)
des Projekts „De-Extinction“.

Bewertung
(eine persönliche Meinung)

Die Projekte von Colossal sind spektakulär und publikumswirksam. Sie werden reißerisch kommuniziert und die Medien fügen oft noch ihren Teil hinzu, um die Schlagzeilen noch spektakulärer zu machen. Offensichtlich ist das erfolgreich denn die Firma gewinnt Investoren und scheint finanziell gut aufgestellt zu sein. Ob diese Erfolge auch mit der „Wiederbelebung“ einer ausgestorbenen Schmierlaus oder Miniermotte erzielt würde, ist zweifelhaft.

Abgesehen von den m.E. unrealistischen Zielen, die die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregen, steckt schon sehr solide Forschung hinter den Projekten. Die beteiligten Wissenschaftler mögen teilweise etwas exzentrische sein, aber sie sind keine Scharlatane. Ihre grundlegenden Forschungsarbeiten haben bereits wesentlich zum Erkenntnisgewinn beitragen und Methoden entwickelt, die auch in anderen Forschungsfeldern wichtig sind. So konnten sie z.B. Beuteltierembryonen von der befruchteten Eizelle bis weit in die Entwicklung in einer künstlichen Gebärmutter entwickeln. Das könnte u.a. helfen, den vom Aussterben bedrohten Tasmanischen Teufel zu erhalten.
Auch beim Schattenwolf handelt es sich weniger um ein modisches Accessoire für Fantasy-Fans. Die Wissenschaftler haben durch Genomvergleiche wesentliche Gene entdeckt, die die Schädelanatomie bestimmen – wichtige Erkenntnisse für die Evolutionsbiologie und möglicherweise auch für die Medizin.

Der Schattenwolf ist mehr als ein modisches Asseccoire für Fantasy-Fans. Die Forschung liefert Einblicke in Gene, die die Schädelanatomie beeinflussen.


Hinter den Arbeiten von Colossal steckt mehr, als man auf den ersten Blick erkennt. Die Forschung liefert relevante Ergebnisse, die von allgemeiner bedeutung sind. Die Marketingstrategie der Firma ist ungwöhnlich und entspricht nicht der üblichen wissenschaftlichen Berichterstattung. Die ist für Laien meist unverständlich und langweilig. Vielleicht brauchen wir spektakuläre, etwas reißerische Darstellungen, um das Interesse der Öffentlichkeit für Wissenschaft zu wecken? Ich bin fast sicher, dass die Akzeptanz für eine niedliche Mammut-Maus oder einen domestizierten Schattenwolf als Haustiere größer wäre, als für einen gentechnisch veränderten Roggen, der den doppelten Ertrag liefert.

Die kuschelige Wollmaus wäre sicherlich ein Verkaufsschlager im Kleintierhandel.

Autor: W. Nellen, BioWissKomm
Abbildungen: weil alle zugänglichen Abbildungen mit einem Copyright belegt sind, wurden Bilder mit der KI Midjourney erstellt. Diese stellen keine realen Forschungsergebnisse dar!