Eine „Gene Revolution“ für die europäische Landwirtschaft

Der folgende Gastbeitrag stammt von RhizoGene, dem iGEM 2023 – Team der Universität Marburg. iGEM ist ein internationaler Studentenwettbewerb, bei dem Studierende sich selbst eine anspruchsvolle Aufgabe stellen, die mit gentechnischen Methoden gelöst werden soll. Die Teams haben zwar Unterstützung durch ihre Universität und können Labore und Infrastruktur nutzen, ansonsten sind sie aber für Planung, Organisation, Durchführung und auch die Einwerbung von Fördergeldern selbst verantwortlich. Es wird außerdem erwartet, dass die wissenschaftliche Arbeit transparent und verständlich der Öffentlichkeit präsentiert wird – insgesamt eine gigantische Herausforderung für eine junge studentische Gruppe!
Bei RhizoGene geht es darum, Pflanzen gentechnisch zu optimieren, die bisher nicht im Fokus des kommerziellen Interesses der großen Saatgutunternehmen standen. Deshalb sind die Methoden meist nicht so gut etabliert wie z.B. bei Mais, Soja und anderen – oder sie stehen gar nicht zur Verfügung. Vorwiegend geht es um Nahrungsmittelpflanzen, die für die Ernährung in Schwellen- und Entwicklungsländern von Bedeutung sind.
BioWissKomm findet das Projekt ausgesprochen spannend und wünscht dem Team viel Erfolg!

„The battle to feed all of humanity is over… hundreds of millions of people will starve to death in spite of any crash programs embarked upon now“ – Mit diesen Worten schildert der Populationsbiologe Paul Ehrlich im Jahr 1968 ein apokalyptisches Szenario, in dem die wachsende Weltbevölkerung an den Anforderungen einer globale Nahrungsversorgung scheitert. Die von Ehrlich prognostizierten Hungersnöte sind trotz kontinuierlich steigender Weltbevölkerung weitestgehend ausgeblieben. Allerdings nicht durch ein biblisches Wunder oder eine zufällige Entdeckung, sondern durch gezielte Investitionen in technischen Fortschritt und dessen rapide Ausbreitung von Industrienationen in die Entwicklungsländer— heute bekannt als die „Grüne Revolution“.
Die „Grüne Revolution“ hat ihre Geburtsstätte in Mexiko: Mexikanische Bauern sehen sich in den 1940ern mit einer landwirtschaftlichen Krise konfrontiert. Die Eigenproduktion an Getreide in ganz Mexiko ist so niedrig, dass fast die Hälfte des Bedarfs an Weizen aus dem Ausland importiert werden muss. Um die Produktion der Nutzpflanzen zu steigern, startet die gemeinnützige Rockefeller Foundation ein Forschungsprojekt mit dem Ziel, die Erträge der in Mexiko angebauten Grundnahrungsmittel Weizen, Mais und Bohnen zu steigern. Beteiligt ist unter anderem der spätere Nobelpreisträger Norman Ernest Borlaug, der durch die Entwicklung mehrerer Hochleistungsweizensorten heute als Vater der „Grünen Revolution“ gilt (1, 2). Sein sogenannter Mexikoweizen ist kleiner als seine Verwandten, da er weniger Energie für sein Längenwachstum aufwendet und stattdessen diese Energie zur Bildung größerer Körner nutzt. Im Gegensatz zum großen Bruder neigt der Zwergweizen aufgrund seines kürzeren Stängels nicht dazu, unter dem Gewicht der schweren Ähren einzuknicken. Verantwortlich für den „Zwergenwuchs“ sind die Allele Rht-B1b und Rht-D1b, die mittlerweile auch als „Green Revolution Genes“ bekannt sind und ursprünglich aus einer japanischen Weizenart stammen (3, 4). Erstmals konnte der Ertrag in der Landwirtschaft nicht durch eine technische oder chemische Innovation gesteigert werden, sondern die Ertragssteigerung fand durch gezielte Kreuzung und ein intensives Selektionsverfahren von Weizensorten statt. Revolutionär daran war, dass die Veränderung an der Pflanze selbst zum entscheidenden Faktor für eine schnelle Ertragssteigerung wurde — ein Ergebnis von 20 Jahren mühsamer Zuchtarbeit (5). Dennoch entpuppt sich der Mexikoweizen als voller Erfolg: Binnen der nächsten acht Jahre verfünffacht sich die Weizenernte und in Mexiko gründet sich das International Maize and Wheat Improvement Center (CIMMYT). Als in den 1950-1960er Jahren Teile Asiens und Afrikas durch rasantes Bevölkerungswachstum ebenfalls am Hungertuch nagen, folgten immer mehr Länder dem Beispiel Mexikos. Auch anderswo beginnen Institute wie das International Rice Research Institute (IRRI) auf den Philippinen an verbesserten Getreidesorten zu forschen. In den 1970ern wird die Consultative Group on International Agricultural Research (CGIAR) gegründet, die sich das Ziel setzt, die technische Entwicklung an den Agrarforschungsinstituten zu koordinieren und technische Innovationen öffentlich zugänglich zu machen (2).

Die erste Grüne Revolution wurde vor allem durch mühsame Kreuzung und Selektion bereits kommerzialisierter Getreidesorten wie Mais, Reis und Weizen getragen. 
Foto: Nathan Trausch

Brauchen wir eine zweite „Grüne Revolution“? 

Auch wenn Ehrlichs prognostizierte Hungerkatastrophe durch die Entwicklung neuer Saaten und die Technisierung der Agrarwirtschaft vorerst abgewehrt werden konnte, steht die globale Ernährungssicherheit weiterhin vor großen Herausforderungen: Im Jahr 2050 wird es 9,7 Milliarden Menschen auf der Erde geben (6, 9), aber die Erträge von Reis, Mais und Weizen, den Pflanzenspezies, die zwei Drittel der gesamten Nahrungskalorien aller Menschen decken, befinden sich vor allem in Entwicklungsländern seit den 1980ern im Abstieg (8, 9). Die Gründe dafür sind vielfältig und teils Folgen der „Grünen Revolution“ selbst: Die intensive Bebauung der Böden mit immer den gleichen Getreidesorten führt zur Bodenerosion, der Einsatz chemischer Dünger belastet das Grundwasser und die Biodiversität leidet ebenfalls unter dem einseitigen Anbau der Hochertragssorten (10). Auch hat die erste „Grüne Revolution“ zwar die Verfügbarkeit von Nahrungskalorien verbessert und damit den Hunger fürs Erste gestillt, trotzdem gehen 60% der Tode von Kindern im Alter von unter fünf Jahren in Entwicklungsländern auf Mangelerscheinungen zurück, die durch eine einseitige, getreidebasierte Ernährung und den damit verbundenen Mangel an essentiellen Aminosäuren, Fettsäuren, Mineralien und Vitaminen ausgelöst werden (11). Vor allem aber steht eine neue Bedrohung für die globale Ernährungssicherheit vor der Tür: Der Klimawandel.
Unsere Nutzpflanzen sind den bevorstehenden Wetterextremen wie Fluten oder Dürren nicht gewachsen. Laut dem Report der Food and Agriculture Organisation (FAO) aus 2017 wird die Getreideproduktion vor allem im globalen Süden unter den veränderten Wachstumsbedingungen leiden (6). Eine Bedrohung angesichts derer wir nicht auf die mühsamen Mittel der klassischen Züchtung warten können. Brauchen wir eine zweite „Grüne Revolution”? Eine Revolution, die unsere Pflanzen gegen Trockenheit und Schädlinge rüstet und gleichzeitig aus den Folgen ihrer Vorgängerin gelernt hat und eine neue, vielfältige und klimaneutrale Landwirtschaft formt. Und das bitte möglichst schnell.

Die Mittel und die Hürden der „Gene Revolution”

Tatsächlich ist der Ruf nach einer gentechnischen Revolution nicht neu, sondern vielmehr das 42 Jahre alte Echo eines New York Times Artikels. So forderte der Autor Peter Steinhart eine Agrarrevolution, die nicht mehr mit den Mitteln der klassischen Züchtung – Hybridisierung, Fremdbestäubung, Rückkreuzung und Zuchtwahl (5) – sondern mit den Methoden der Gentechnik bestritten werden soll. Im Jahr 2006 stellt Prof. Sakiko Fukuda-Parr mit ihrem Buch „The Gene Revolution: GM Crops and Unequal Development”, in dem sie die Chancen der „Grünen Biotechnologie” im Hinblick auf Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit analysiert, ähnliche Forderungen an eine Landwirtschaft der Zukunft (12, 13). 

Trotzdem ist die zweite „Grüne Revolution“ bislang ausgeblieben. Dabei birgt die „Grüne Biotechnologie” eine Reihe von Lösungen für die Landwirtschaft der Zukunft. Nicht nur ertragreichere Ähren können mittels Gentechnik erzeugt werden: Durch Transgenese, also das Einbringen artfremder Gene in Pflanzen, können diese resistent gegen Schädlinge gemacht werden. So besitzt beispielsweise der bt-Mais ein Gen aus dem Bakterium Bacillus thuringensis, das für die Produktion des insektiziden bt-Proteins verantwortlich ist. Das bt-Protein wird in den Pflanzen als ungiftige Vorstufe gebildet und erst im Darm des Insekts durch Verdauungsenzyme aktiviert (14). Durch diese natürliche Resistenz müssen weniger chemische Insektizide eingesetzt werden und die Belastung der Böden sinkt. Der „Golden Rice”, über den BioWissKomm bereits hier berichtet (15), ist ein Beispiel für ein weiteres vielversprechendes Anwendungsgebiet der Gentechnik. Um dem häufigen Vitamin-A-Mangel entgegenzuwirken, der jährlich zwischen 250.000 und 500.000 Kinder erblinden lässt (11), wurden die Gene für die Beta-Carotin-Synthese in Reis eingebracht. Transgene Pflanzen könnten also in Zukunft den Nährwert unserer Nutzpflanzen steigern oder auch deren Haltbarkeit verlängern (16). Letzteres scheint vor allem im Hinblick auf das Problem der Lebensmittelverschwendung vielversprechend. In Anbetracht des Klimawandels sind aber vor allem zwei Zieleigenschaften interessant: Die Modifikation bereits etablierter Nutzpflanzen hin zu einer besseren Toleranz von abiotischem Stressfaktoren wie Hitze und Trockenheit und die Ertragssteigerung von Pflanzen, die bisher für die industrialisierte Landwirtschaft wegen ihren Wachstumsbedingungen oder ihrer niedrigen Erträge uninteressant waren.

Versuchspflanzen im Gewächshaus.
Foto: Amanta Seifried

Aber wenn die „Grüne Biotechnologie” wirklich so vielversprechend ist, warum wachsen dann nicht bereits schädlingsresistente, vitaminreiche Riesengetreide in der Atacama-Wüste? Die Antwort darauf ist vielschichtig. Zwar ist es möglich Pflanzen gezielt genetisch zu verändern, allerdings fehlt noch viel Grundlagenforschung zu Hitze- und Stressmechanismen von Pflanzen. Nur wenn diese ausreichend verstanden sind, lassen sie sich gezielt verändern. Es ist durchaus einfacher, einige wenige Gene für einen biochemischen Stoffwechselweg oder ein insektizides Protein in Pflanzen einzubringen, als eine komplexe Antwort auf veränderte Umweltbedingungen, an der eine Vielzahl von unterschiedlichen, teils unbekannten Mechanismen beteiligt sind (17).
Ein weiteres Problem ist, dass jede gezielte Art der Genmodifikation darauf angewiesen ist, dass die Fremd-DNA in die Pflanzenzelle gelangt. Den Prozess, fremde DNA in Pflanzenzellen einzubringen, bezeichnet man als Transformation. Für Pflanzen gibt es im Wesentlichen zwei Transformationsmethoden: Eine Möglichkeit ist es, die Pflanze mit DNA-beschichteten Goldpartikeln zu beschießen. Eine andere Methode stammt aus den 80er Jahren und basiert darauf, dass das Bodenbakterium Agrobacterium tumefaciens einen Teil seines Genoms von Natur aus in das Erbgut der Pflanze einbringen kann. Diese Fähigkeit kann man sich zu Nutze machen: Die Agrobacterium-DNA, die in das Genom der Pflanze eingebracht wird, lässt sich zum Beispiel durch das Gen für eine bestimmte Eigenschaft wie das bt-Gen für Schädlingsresistenz ersetzen. BioWissKomm hat bereits in diesem Artikel über den Mechanismus der Agrobacterium-vermittelten Transformation ausführlicher berichtet (18). Das Problem der Methode ist allerdings, dass die Abwehrmechanismen vieler Pflanzen die Agrobacterium-vermittelte Transformation erschweren oder gar unmöglich machen.

Stieleichen (Quercus robur) sind, wie die meisten hölzernen Gewächse, schwer transformierbar. Deshalb werden meist kosten-, zeit und ressourcenaufwändige Gewebekulturen transformiert. Auf dem Bild nutzten die Studierenden ein selbst entwickeltes Protokoll, das statt Agrobacterium tumefaciens das verwandte Agrobacterium rhizogenes verwendet, um statt Gewebekulturen gleich den ganzen Organismus transformieren zu können.
Foto: iGEM Marburg 2023 (RhizoGene)

An einer Verbesserung der Agrobacterium-vermittelten Transformation forscht zur Zeit auch das Marburger iGEM-Team. Die jungen Wissenschaftler*innen haben sich im Rahmen des iGEM-Wettbewerbs unter dem Motto „Engineering the Engineer“ der Sache verschrieben, diese “alte” gentechnische Methode zu verbessern und die Anzahl der mit Agrobacterium transformierbaren Spezies zu erweitern.

iGEM, kurz für “international genetically engineered machine”, ist ein Wettbewerb im Bereich der synthetischen Biologie, der vor 20 Jahren am Massachusetts Institute of Technology (MIT) ins Leben gerufen wurde. Die synthetische Biologie ist ein sehr junges Forschungsfeld, das die Biologie mit den Augen der Ingenieurwissenschaften betrachtet: Es wird versucht, standardisierte genetische Einheiten zu entwickeln, die sich wie biologische Legosteine zu komplexeren Systemen zusammenfügen lassen. Seit der iGEM-Wettbewerb 2003 ins Leben gerufen wurde, wurden bereits über 20.000 solcher Bauteile von iGEM-Teams entwickelt und zum Lösen von Problemen aus beispielsweise Umwelt, Medizin und Ernährung angewandt.
Die Hoffnung des Marburger Teams ist es, diese Bauteile zu nutzen und weitere zu entwickeln, um die Transformationseffizienz des Agrobacteriums zu erhöhen und auf bisher schwer oder gar nicht transformierbare Pflanzen auszuweiten. Außerdem interessieren sich die Studierenden besonders für Pflanzen, die bisher für die westlich-geprägte Agrarindustrie nicht von Interesse waren. Ein Beispiel dafür ist die Bambara-Erdnuss (Vigna subterranea) – eine Hülsenfrucht, die in weiten Teilen Afrikas bereits angebaut wird und die vor allem wegen ihrer Nährstoffdichte und natürlichen Präferenz für saure, nährstoffarme Böden interessant ist (19). Gelingt es, diese mit dem Agrobacterium zu transformieren, könnten zukünftige Forschergruppen die Erkenntnisse nutzen, um die Bambara-Erdnuss und andere bisher wenig bekannte Nutzpflanzen ertragreicher und damit interessanter für den Anbau zu machen. Das iGEM-Team erhofft sich, mit einer verbesserten Transformationsmethode zumindest technologisch die Saat für eine Vielfalt genetisch veränderter Pflanzen auf den Feldern zu säen.

Das iGem-Team aus Marburg interessiert sich für die Transformation von Pflanzen, die bisher für die kommerzielle Landwirtschaft uninteressant waren. Deshalb forschen die Studierenden unter anderem an der Bambara-Erdnuss (Foto). Die Bambara-Erdnuss ist dabei von besonderem Interesse, weil die eiweißreiche Hülsenfrucht von Natur aus bereits eine hohe Resistenz gegen Trockenheit besitzt und in Teilen Westafrikas als Grundnahrungsmittel gilt.
Foto: Dasha Khalfine

Innovation oder Vorsicht? Die Debatte über Gentechnik in Europa

Neben technischen Limitationen wie der Transformation hat die „Grüne Biotechnologie” vor allem ein Problem — das Misstrauen der Bevölkerung. Laut einer Umfrage des Umweltinstituts München aus dem Jahr 2021 sprechen sich 60% der Deutschen gegen den Einsatz genetisch veränderter Pflanzen in der Landwirtschaft aus (20, 21). Ablehnungsgrund ist neben dem Unbehagen gegenüber der „Künstlichkeit“ von Nahrungsmitteln die Missbilligung von Herbiziden, Pestiziden und modernen Düngungsmethoden sowie die Kritik am Einfluss großer Biotechnologie-Konzerne. Auch sind die Vorteile von genetisch modifizierten Organismen (GMOs) — weniger Treibhausgasemissionen, günstigere Lebensmittel und effizientere Nutzung von Ackerflächen — für Verbraucher*innen kaum direkt wahrnehmbar (20). Dabei könnte Europa laut Berechnungen einer Forschungsgruppe aus den USA die landwirtschaftlich verursachten Treibhausgasemissionen um 33 Millionen Tonnen CO2 senken, würden GMOs in ähnlicher Weise eingesetzt werden wie in den USA (21). Bei der Schätzung wurden die fünf momentan verfügbaren GMO-Getreidesorten (Mais, Soja, Baumwolle, Raps und Zuckerrüben), die kürzeren Transportwege sowie die Carbon-Opportunity Costs (COC) (22) der bewirtschafteten Fläche mit einbezogen.


Das generelle Misstrauen gegenüber GMO-Pflanzen spiegelte sich bisher auch in der europäischen Gesetzgebung wider. Diese handelt nach dem Vorsorgeprinzip: Mittels gentechnischer Methoden erzeugten Pflanzen können, nach langer Prüfung, EU-weit zugelassen werden. Danach haben einzelne Länder jedoch die Möglichkeit, den GMO durch eine „opt out”-Regelung auf nationaler Ebene zu verbieten. Dies birgt allerdings einige Probleme: Die teuren, oft langwierigen Zulassungsverfahren erschweren gerade kleinen und mittelständigen Unternehmen die Entwicklung von GMOs, wodurch die zugelassenen GM-Pflanzen tatsächlich meist Produkte großer Firmen sind, die sich die Zulassungsverfahren leisten können. So darf beispielsweise in der EU bisher von 71 zugelassenen GMOs (Stand 2016) nur der Monsanto Mais MON810 tatsächlich angebaut werden (23).

Letztendlich regelt das Gentechnikgesetz nicht, welche Mutationen auf den europäischen Feldern landen, sondern vielmehr die Methoden mit der sie erzeugt wurden. Eine mittels klassischer, zufälliger Mutagenese durch Strahlung oder Chemikalien entstandene Sorte fällt nicht in den Anwendungsbereich des Gentechnikgesetzes, kann aber die gleiche DNA-Sequenz tragen wie eine durch die CRISPR/Cas9-Genschere entstandene Pflanze. Damit sind beide Pflanzen genetisch identisch, rechtlich unterliegt die eine aber den strengen Zulassungsvorschriften des Gentechnikgesetzes. Diesen Widerspruch versucht die EU nun mit einer Reform des Gentechnikgesetzes zu beheben. Die Reform legt Regeln für die Definition von NGT-1-Pflanzen fest. Das sind Pflanzen, die mittels neuer gentechnischer (NGT) Methoden wie CRISPR/Cas9 entstanden sind, deren Veränderung aber im Rahmen der Möglichkeiten klassischer Mutagenese liegt. Diese sollen zukünftig nicht mehr wie GMOs behandelt werden (24). Dieses neue Gentechnikgesetz hat den Vorteil, dass neue Pflanzensorten viel schneller und zielgerichteter hergestellt werden können. Trotzdem gelten die Lockerungen nur für cisgene Pflanzen, also Pflanzen, bei denen eine Veränderung mit arteigenem Genmaterial stattgefunden hat. Die Entwicklung transgener Pflanzen wie dem Golden Rice, bt-Mais oder der Flavr-Savr-Tomate, die artfremdes Genmaterial aus beispielsweise Bakterien tragen, ist damit immer noch stark reglementiert. Für diese Art der genetische Modifikationen, die Pflanzen mit neuen, artfremden Eigenschaften, wie Schädlings- oder Trockenheitsresistenzen gegen den Klimawandel rüsten oder die Nährwerte der Getreide verbessern könnten, wäre allerdings auch eine Lockerung der Regelung für transgene Pflanzen notwendig.

Das neue Gentechnikgesetz als fruchtbarer Boden für eine „Gene Revolution”?

Trotz der potenziellen EU-Reform des Gentechnikgesetzes fehlt bislang der Geist für eine „Gene Revolution”. Dazu muss es der Wissenschaft gelingen, die Chancen der neuen Gentechnik nicht nur im Labor, sondern auch gegenüber einer breiten Öffentlichkeit zu kommunizieren, die Technologie und Veränderung oft eher kritisch gegenübersteht. Nur so kann überhaupt ein Diskurs entstehen, der die Sorgen der Gentechnik-Kritiker*innen ernst nimmt, bestehende Vorurteile gegen GMOs abbaut und schlussendlich zu einer breiteren Akzeptanz der „Grünen Biotechnologie” führen kann. Gelingt dies, könnte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch die technologischen Hürden überwunden sind. Das iGEM-Team aus Marburg versucht deshalb auch außerhalb des Labors, den Diskurs über Gentechnik auf eine sachliche Art und Weise zu führen. Dass die Akzeptanz in der Bevölkerung einen Einfluss auf die Forschung hat, wird dadurch deutlich, dass es von den in den USA angebauten Pflanzen Soja, Mais und Baumwolle deutlich mehr genetisch-modifizierte Varianten gibt als von den vorrangig in Europa angebauten Sorten Weizen und Gerste (25). Vielleicht könnte die geplante Gentechnik-Reform eine Art Tocqueville-Effekt auslösen. Der Tocqueville-Effekt bezeichnet das sozialwissenschaftliche Phänomen, dass Revolutionen meist dann ausbrechen, wenn bestehende Einschränkungen bereits gelockert wurden. Wenn die Erfahrungen durch die Lockerungen des Gentechnikgesetzes für NGT-1-Pflanzen zeigen, dass gentechnische Methoden keine Gefahr, sondern vielmehr eine Chance darstellen, könnte auch die Akzeptanz für transgene Pflanzen und damit das Interesse der europäischen Wissenschaft und Bevölkerung an besseren Transformationsmethoden und der Grünen Biotechnologie im Allgemeinen steigen. Dann kommt eine „Gene Revolution” möglicherweise nicht nur aus den Laboren, sondern findet auch Unterstützung in der Landwirtschaft, der Klimabewegung und der Mitte der Gesellschaft.

Autoren des iGEM Teams Marburg:
Simon Klute (simonklute7@gmail.com)
Nathan Trausch (nathan.trausch@gmail.com)

Titelfoto: Johannes Merz
iGEM-Team Marburg im botanischen Garten der Universität

Literatur

1. Green Revolution (2023) Wikipedia.

2. Pingali,P.L. (2012) Green Revolution: Impacts, limits, and the path ahead. Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A., 109, 12302–12308.

3. Pearce,S. (2021) Towards the replacement of wheat ‘Green Revolution’ genes. Journal of Experimental Botany, 72, 157–160.

4. Monna,L., Kitazawa,N., Yoshino,R., Suzuki,J., Masuda,H., Maehara,Y., Tanji,M., Sato,M., Nasu,S. and Minobe,Y. (2002) Positional Cloning of Rice Semidwarfing Gene, sd-1 : Rice “Green Revolution Gene” Encodes a Mutant Enzyme Involved in Gibberellin Synthesis. DNA Research, 9, 11–17.

5. Steinhart,P. (1981) THE SECOND GREEN REVOLUTION. The New York Times.

6. FAO (2017) Future of Food and Agriculture – Trends and Challenges.

7. Uno-Zahlen: 2050 werden 9,7 Milliarden auf der Erde leben (2019) Der Spiegel.

8. Conway,G. and Toenniessen,G. (1999) Feeding the world in the twenty-first century. Nature, 402, C55–C58.

9. Cassman,K.G. (1999) Ecological intensification of cereal production systems: Yield potential, soil quality, and precision agriculture. Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A., 96, 5952–5959.

10. Evenson,R.E. and Gollin,D. (2003) Assessing the Impact of the Green Revolution, 1960 to 2000. Science, 300, 758–762.

11. West,K.P. (2002) Extent of Vitamin A Deficiency among Preschool Children and Women of Reproductive Age. The Journal of Nutrition, 132, 2857S-2866S.

12. Fukuda-Parr,S. ed. (2007) The gene revolution: GM crops and unequal development Earthscan, London ; Sterling, Va.

13. Fukuda‐Parr, Sakiko, Editor. The Gene Revolution: GM Crops and Unequal Development . Sterling, VA: Earthscan, 2007, 248 pp., $150.00. (2009) American J Agri Economics, 91, 551–553.

14. Kota,M., Daniell,H., Varma,S., Garczynski,S.F., Gould,F. and Moar,W.J. (1999) Overexpression of the Bacillus thuringiensis (Bt) Cry2Aa2 protein in chloroplasts confers resistance to plants against susceptible and Bt-resistant insects. Proc Natl Acad Sci U S A, 96, 1840–1845.

15. Golden Rice Archive BioWissKomm.

16. Tomate | transGEN Datenbank – Datenbank – transgen.de.

17. Heikkinen,ClimateWire,N. Genetically Engineered Crops Are Safe and Possibly Good for Climate Change. Scientific American.

18. Nellen,W. (2023) Öko-Gentechnik: die amerikanische Kastanie. BioWissKomm.

19. Tan,X.L., Azam-Ali,S., Goh,E.V., Mustafa,M., Chai,H.H., Ho,W.K., Mayes,S., Mabhaudhi,T., Azam-Ali,S. and Massawe,F. (2020) Bambara Groundnut: An Underutilized Leguminous Crop for Global Food Security and Nutrition. Front. Nutr., 7, 601496.

20. Renn,O. Die große Verunsicherung.

21. Grüne Gentechnik Vorurteile Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

22. Kovak,E., Blaustein-Rejto,D. and Qaim,M. (2022) Genetically modified crops support climate change mitigation. Trends in Plant Science, 27, 627–629.

23. EU-Zulassungen von gentechnisch verändertem Mais.

24. Reform der Gentechnik-Gesetze: Nur noch wenige Auflagen für mit neuen Verfahren gezüchtete Pflanzen – Aktuell – transgen.de.

25. Kovak,E., Qaim,M. and Blaustein-Rejto,D. (2021) The climate benefits of yield increases in genetically engineered crops Plant Biology.