Öko-Gentechnik: die amerikanische Kastanie

Zusammenfassung:
Gentechnik kann nicht nur in der Landwirtschaft, Medizin und anderen Bereichen sehr nützlich sein. Das Beispiel zeigt, dass sie auch in der Ökologie durchaus sinnvoll eingesetzt werden kann. Gentechnik ist gewiss kein „Allheilmittel“. Es ist deshalb vorbildlich, dass die American Chestnut Foundation alle möglichen Wege gleichzeitig beschreitet, um die beste Lösung zu finden.

Die amerikanische Kastanie (Castanea dentata) war ein imposanter Baum. Mit einer Höhe von bis zu 45m und einem Stammdurchmesser von bis zu 3m dominierte sie die Wälder der östlichen USA von Maine bis Missisippi und war von großer ökologischer Bedeutung: die Krone mit einem Durchmesser von 30m spendete Schatten, schütze vor Austrocknung und fixierte CO2. Die Früchte dienten Wildtieren wie Truthahn, Bären, Hirschen und auch Menschen als Nahrung. Weiterhin war der schnell wachsende Baum ein ausgezeichneter Lieferant für wertvolles Hartholz, das sowohl für Möbel als auch als Baumaterial verwendet wurde.

Warum „war“ und „wurde“?

1904 wurde mit der Chinesischen Zierkastanie der „Rindenkrebs“, eine Pilzerkrankung (Castanea dentata) eingeschleppt. Innerhalb weniger Jahrzehnte vernichtete der Pilz fast die gesamte Population von 3,5 Milliarden Kastanienbäumen.

Abb. 1
Infizierter Baumstamm der amerikanischen Kastanie.
Der Pilz blockiert die Wasserzufuhr des Baums und “würgt” ihn damit zu Tode.

Was tun?

„The American Chestnut Foundation“ (TACF) ist eine Stiftung, die in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern an der State University of New York, Dept. Environmetal Science and Forestry (ESF) versucht, die Kastanie auf verschiedene Art und Weise zu retten:

  1. Möglicherweise gibt es unter den wenigen überlebenden Bäumen solche, die eine Resistenz entwickelt haben. Es ist ein sehr schwieriges, langwieriges Verfahren sie zu identifizieren – und mit sehr ungewissem Erfolg. Am Anfang der großen Infektionswelle wurden sehr viele gesunde Bäume gefällt, um die Ausbreitung der Krankheit einzuschränken. Dadurch wurde die genetische Diversität verringert und möglicherweise gingen auch natürliche Resistenzen verloren. Unter den Überlebenden findet man auch heute noch scheinbar resistente Bäume. Meist liegt diese „Resistenz“ jedoch an einer günstigen Umwelt oder geografischen Lage. Wenn sie direkt mit dem Pilz in Kontakt kommen, sterben sie auch. Ältere Bäume sind auch anfälliger für die Krankheit, weil der Pilz durch Risse in der Rinde und kleine Verletzungen eindringt. Die Suche nach natürlichen Resistenzen ist nicht hoffnungslos, der Erfolg ist aber fraglich.
  2. Ein zweiter Ansatz ist eine Kreuzung zwischen der amerikanischen Kastanie und der resistenten chinesischen Unterart. Das Hybrid hat dann 50% der „chinesischenGene“ und 50% der amerikanischen. Über viele Rückkreuzungen soll dann ein möglichst hoher Anteil des „genetischen Materials der ursprünglichen Unterart „amerikanischen Genoms“ wiederhergestellt werden, ohne die Resistenz zu verlieren. Weil diese Resistenz auf dem Zusammenspiel mehrerer, weitgehend unbekannter, Gene beruht, ist es ebenfalls ein sehr langwieriges Unternehmen, einen möglichst hohen Anteil des Original-Genoms zu erhalten, ohne dass die Resistenz verloren geht. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass man maximal 70% des „amerikanischen Genoms“ durch Kreuzungen rekonstruieren kann, ohne die Resistenz zu verlieren.
  3. Ein dritter, aber nur mit Einschränkungen erfolgreicher, Ansatz kann zumindest die genetische Vielfalt der Population erhalten. Der Pilz befällt nicht die Wurzeln des Baums. Die Stümpfe treiben wieder aus und wachsen zu kleinen Bäumen heran. Diese werden aber nach wenigen Jahren wieder infiziert und sterben ab. Die „Zwergbäume“ können das Ökosystem nicht wiederherstellen, sie enthalten aber die genetische Vielfalt der ursprünglichen Population, die man vielleicht später wieder nutzen kann.
  4. Mit einem vierten Ansatz wird eine gentechnische Lösung gesucht. Die American Chestnut Foundation hat mit SUNY (State University of New York) zusammen an der Entwicklung einer Pilz-toleranten, transgenen Kastanie gearbeitet, die wir etwas genauer beschreiben:

Darling 58

Resistenz und Toleranz gegen pathogene Pilze sind aus verschiedenen Pflanzen bekannt. Bei der chinesischen Kastanie beruht die Resistenz auf dem (nicht vollständig verstandenen) Zusammenspiel mehrerer Gene. In anderen Fällen beruht eine Toleranz allein auf der Oxalat Oxidase (OxO), einem Enzym, das Oxalat neutralisiert. Oxalate werden von dem Pilz produziert und verursachen die Krebsgeschwüre, die schließlich zum Absterben des Baums führen. Eine interessante Beobachtung war, dass einige Pilze deutlich weniger Oxalat produzieren und keine Krankeitssymptome auslösen. Der Abbau von Oxalat durch OxO verhindert also nicht die Infektion und tötet den Erreger auch nicht ab. Er verhindert die Symptome und führt zu einer Koexistenz von Pilz und Baum. Die Pflanze ist nicht resistent, sondern tolerant gegen den Pilz. Weil nur ein Gen eingefügt wird, entspricht das Genom zu mehr als 99,99% dem der ursprünglichen amerikanischen Kastanie.
Das Enzym katalysiert die folgende Reaktion:

Katalyse durch Oxalatoxidas.

OxO kommt natürlich in Weizen, Gerste und anderen Getreidesorten vor. Die Wissenschaftler von SUNY habe das Gen für OxO aus Weizen ausgewählt und gentechnisch in die Kastanie eingebracht. So entstand „Darling 58“. (Der Name hat nichts mit einem „Liebling“ zu tun, die transgene Pflanze wurde nach Herb Darling, dem Gründer des New Yorker Zweigs der TACF benannt.)

Wie macht man das?

Zuerst werden Zellen der Pflanze in einer Zellkultur im Labor vermehrt. Diese Zellen werden dann mit Agrobacterium tumefaciens behandelt. Das Bakterium ist eine natürliche Genfähre für Pflanzen und kann DNA in das Pflanzengenom einschleusen. Eigentlich transformiert Agrobacterium Pflanzen mit seinen eigenen Genen und erzeugt einen Tumor.

Infektion einer Pflanze mit Agrobacterium tumefaciens.

Abb. 3
Bei der natürlichen Infektion mit Agrobacterium tumefacienz werden die Tumorgene auf dem Ti Plasmid in das Pflanzengenom integriert und verursachen einen Wurzelhalstumor (crown gall). Werden die Tumorgene durch OxO ersetzt, so wird dieses Gen in das Genom eingebaut und es entsteht kein Tumor.

Man hat das Bakterium aber „entwaffnet“ und nutzt es jetzt, um jedes beliebige Gen in eine Pflanze einbringen zu können. Diese Methode ist seit mehr als 30 Jahren etabliert und viele unserer Nahrungsmittelpflanzen wurden für die Landwirtschaft und den menschlichen Konsum damit optimiert. Dazu gehören Reis, Soja, Raps, Auberginen, Tomaten, Kartoffeln und viele andere.
Beachte: Dies ist die „alte“ oder „konventionelle“ Gentechnik. Die „Neue Gentechnik“ (NGT) mit CRISPR-Cas kann noch nicht routinemäßig für den Einbau neuer Gene in Pflanzen verwendet werden.

Anders als bei Tieren kann man aus einzelnen Zellen einer Pflanzlichen Zellkultur wieder ganze Pflanzen wachsen lassen. Nach der Transformation mit Agrobacterium können die Zell im Reagenzglas einen Callus bilden, einen Klumpen aus undifferenzierten Zellen. Diesen Klumpen kann man durch entsprechende Bedingungen dazu bringen, Blätter und Wurzeln und schließlich eine ganze Pflanze zu entwickeln.
Ein Blättchen davon reicht aus, um molekularbiologisch zu prüfen, ob das gewünschte Gen, in diesem Fall OxO, eingebaut wurde und keine anderen Veränderungen stattgefunden haben. Dann werden junge Bäumchen mit Castanea dentata infiziert und beobachtet, wie sie sich verhalten. Schließlich wurde die Sorte Darling58 ausgewählt, die sich sehr gut gegen den Pilz wehren konnte und praktisch keine Krankheitssymptome zeigte.

Callus mit induziertem Spross.

Abb. 4
Aus dem Callus, der undifferenzierten Zellmasse (unten) sprießen, nach entsprechender Behandlung,
die ersten Blatttriebe.

Und damit ist jetzt alles gut?

Mit Darling 58 gab es jetzt eine Kastanie, die nur ein zusätzliches Gen (das OxO-Gen) enthielt und ansonsten genetisch identisch mit der amerikanischen Kastanie war. Das ist anders als bei einer Kreuzung zwischen der amerikanischen und der chinesischen Kastanie, bei der zwei verwandte, aber doch sehr unterschiedliche Genome unkontrolliert durcheinander gewürfelt werden.
Im Gegensatz zu Kreuzungen müssen gentechnisch veränderte Pflanzen nach den Sicherheitsvorschriften auf viele eventuell möglichen Nebeneffekte überprüft werden. Ein Teil dieser Untersuchungen ist in der Tabelle gezeigt.

Sicherheitsüberprüfung der transgenen Kastanie.

Dazu gehört z.B. ob Raupen, die Blätter der transgenen Pflanze fressen, davon geschädigt werde, ob Blätter schneller, langsamer oder anders kompostiert werden, ob Samen anderer Pflanzen in ihrer Keimung beeinflußt werden, wenn sie zwischen Blättern des transgenen Baums anwachsen, ob sich an der Photosynthese etwas geändert hat, die gesamte molekulare Zusammensetzung der Pflanze wird untersucht und vieles mehr. Jeweils im Vergleich zu normalen, nicht gentechnisch veränderten Kastanien wird geprüft, ob es signifikante Unterschiede gibt.
Bei allen diesen Test hat Darling 58 keine signifikanten Unterschiede gezeigt. Das Zulassungsverfahren ist trotzdem bis heute noch nicht abgeschlossen. Der ursprünglich für 2019 geplante Anbau von Bäumen außerhalb der genehmigten Versuchsstation musste verschoben werden. Wie kompliziert und langwierig der Zulassungsprozess sein kann, ist hier zusammengefasst. Zumindest teilweise ist die Zeitverzögerung auch durch die starke Opposition von Gentechnikgegner zu erklären.

Opposition

Wenn von der Wissenschaft gentechnische Lösungen für ein Problem vorgeschlagen werden, ist die Opposition nie weit – nur zwei Beispiele hier und hier.
Die Argumente sind immer dieselben: gentechnische Eingriffe stellen ein „nicht kalkulierbares Risiko dar“, es gibt keine wissenschaftlichen Untersuchungen zu Langzeiteffekten und die Auswirkungen auf das Ökosystem sind nicht vorhersehbar. Das ist alles richtig – aber …
Das von den Gentechnikgegnern favorisierte Hybridisierungsprogramm (Kreuzung zwischen der asiatischen und der amerikanischen Kastanie), ist ebenso ein unkalkulierbares Risiko, auch da gibt es keine Daten zu Langzeiteffekten und die Auswirkungen auf das Ökosystem sind unbekannt.
Für einen Molekularbiologen ist es sehr schwer verständlich, warum eine unkontrollierte Vermischung von zweimal 40.000 Genen kein Risiko für Mensch und Umwelt darstellen soll, die kontrollierte Einführung eines einzigen Gens aber unendlich viele Sicherheitsüberprüfungen und viele Jahre für eine Zulassung braucht.
Was bei der Kreuzung von „Kultivaren“, das sind z.B. zwei verschiedene Reissorten, genetisch passieren kann, haben wir im Blog-Artikel „Mutanten“ beschrieben. Vermutlich wären die genetischen Veränderungen bei zwei Unterarten wie amerikanische und chinesische Kastanie noch viel größer.

Interessanterweise hat der Sierra Club, der grundsätzlich gegen gentechnische Veränderungen ist, Partei für die gentechnisch modifizierte Kastanie ergriffen. Der Verein hält anscheinend den ökologischen Nutzen durch eine Wiederherstellung des ursprünglichen Ökosystems für wichtiger, als eine grundsätzliche Ablehnung von Gentechnik. Der Sierra Club wurde vor allem auch dadurch überzeugt, dass für die Pilz-tolerante Kastanie keine Patente beantragt werden sollen.

Fun-Fact:

Im Jahr 2013 hatten wir von Science Bridge das Kartenspiel „Wo ist Gentechnik drin“ herausgegeben. Darin war bereits der amerikanische Kastanie eine Karte gewidmet. Es herrschte damals schon Optimismus, dass der Baum sehr bald von den Forschungsstationen in die „freie Wildbahn“ entlassen würde.
Ein paar Exemplare dieses „antiken“ Kartenspiels gibt es noch. Es ist ganz interessant zu sehen, was sich seit 2013 alles getan hat!

Ergänzung, 16.1.2024

Meldungen in der Washington Post (langer Text) und beim “Genetic Literacy Project“ (Kurztext) berichten über einen gewaltigen Rückschlag beim „American Chestnut Project“.
Anscheinend waren vor der Anpflanzung Samen vertauscht oder falsch beschriftet worden. Anstatt Darling 58 wurde eine Mischung von Darling 54 und Darling 58 angepflanzt!
Die jungen Darling 54 Bäume sind weniger robust, haben kleineren Wuchs, sterben häufiger ab und scheinen auch eine geringere Toleranz gegenüber dem Pilz zu haben.

Woran kann das liegen?

Wir können hier nur Vermutungen anstellen, die aber aus Erfahrungen der Forschung begründet sind.
Darling 58 und Darling 54 sind verschiedene „Events“, das heißt Ergebnisse von unabhängigen Transformationen (gentechnischen Experimenten). Beide enthalten das Oxaloxidasegen als „Transgen“, das aber an verschiedenen Stellen im Genom eingebaut sein kann. Das ist ein Nachteil der Gentechnik mit Agrobakterium: der Einbau in das Zielgenom erfolgt zufällig. Deshalb werden viele verschiedene Events untersucht und die besten ausgewählt.

Wenn das Oxaloxidasegen in einen epigenetisch unterdrückten Bereich eingebaut wird, kann es schwächer oder gar nicht abgelesen werden und damit zu weniger oder gar keiner Toleranz gegenüber dem Pilz führen (Event 1). Wenn das Transgen zufällig in direkter Nähe von Genen eingebaut wird, die zu Wachstum und Robustheit des Baums beitragen, kann es deren Expression stören oder gar verhindern (Event 2). Das könnte erklären, warum die Bäume kleiner und schwächer sind oder leichter absterben. Im besten Fall wird das Transgen in einen neutralen Bereich des Genoms eingebaut (Event 3): es wird ordentlich exprimiert und stört nicht. Das ist nicht unwahrscheinlich denn der größte Teil eines Genoms codiert überraschenderweise nicht für Gene.

Eine andere Vermutung beruht darauf, dass Darling 58 das Oxaloxigenasegen auf nur einem der elterlichen Chromosomen trägt, Darling 54 aber auf beiden. Die daraus resultierende hohe Expression könnte das Wachstum verzögern.
Für Fortgeschrittene: eine ungewöhnlich hohe Genexpression kann bei Pflanzen manchmal zum gegenteiligen Effekt führen und würde hier zu einem Verlust der Toleranz gegenüber dem Pilz bedeuten. Das hat man schon sehr früh in der Pflanzenforschung bemerkt und als „Transgen-Silencing“ bezeichnet. Der Mechanismus ist inzwischen aufgeklärt und wird „RNA Interferenz“ genannt. Ein Artikel dazu ist in Vorbereitung.

Es gab also einen guten Grund, warum man Darling 58 und nicht Darling 54 für die Kultivierung ausgewählt hatte. Die anscheinende Verwechslung der Events stellt keine Gefahr dar, beide wurden auf ihre Sicherheit überprüft. Sie kostet aber nicht nur sehr viel Zeit und Geld, sie ist peinlich und führt auch zu einem Vertrauensverlust bei den Geldgebern – und sie ist natürlich Wasser auf die Mühlen der Opposition.

Man kann nur hoffen, dass diese katastrophale Verwechslung und eventuelle weitere Fragen schnell und vollständig aufgeklärt werden und das Projekt, zwar mit Verzögerung, aber dann doch noch erfolgreich vollendet werden kann.

Danksagung
Wir danken Adriana del Grosso únd Andy Newhouse von „The American Chestnut Research and Restoration Project at SUNY College of Environmental Science and Forestry“ (ESF), dafür, dass sie Abbildungen für diesen Artikel zur Verfügung gestellt haben. Besonderer Dank gilt Adriana del Grosso für wertvolle Kommentare zum Manuskript.

Autor: Wolfgang Nellen, BioWissKomm
Titelbild: BioWissKomm by Midjourney

Oxalat-Oxidase Abbildung: BioWissKomm, Struktur aus Wikipedia
„Wo ist Gentechnik drin?“ Science Bridge © 2013
Alle anderen Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von ESF.