Der Vorschlag der EU zur Deregulierung der neuen gentechnischen Technologien (NGT) wie z.B. CRISPR-Cas, bringt die Gentechnikdiskussion mal wieder in Fahrt. Es ist eine politische Auseinandersetzung, die aber wissenschaftliche Erkenntnisse nicht aus den Augen verlieren sollte. Vor allem sollte sie nicht mit scheinbar wissenschaftlichen Argumenten und Irreführungen die Verbraucher manipulieren und verunsichern. Wir wollen hier einige falsche oder missverständliche Aussagen etwas unter die Lupe nehmen.
Zuerst eine kurze Erklärung zu NGT:
Mit „ortsspezifischen Nukleasen“ (englisch: site directed nucleases = SDN) wird an einer definierten Stelle in der genetischen Information (DNA) ein Schnitt gesetzt. Natürliche Mechanismen des Organismus reparieren diese Schäden, die auch durch Umwelteinflüsse häufig vorkommen. In vielen Fällen funktioniert die Reparatur nicht perfekt. Das betroffene Gen wird funktionslos. Solche Funktionsverluste sind in der Pflanzenzüchtung oft nützlich und für Landwirte und Verbraucher vorteilhaft. Im Gegensatz zur bisher in der Züchtung verwendeten ungerichteten Mutagenese und zufällig auftauchende Mutationen handelt es sich bei NGT um eine zielgerichtete Mutagenese.
Mit einer etwas veränderten Methode können ebenso gezielt kleine Änderungen in der Erbinformation vorgenommen werden, indem beispielsweise einzelne „Buchstaben“ des genetischen Codes ausgetauscht werden. Dadurch werden Genvarianten erzeugt, die z.B. weniger von einem natürlichen Giftstoff oder mehr von einem Nährstoff oder Vitamin in einer Pflanze erzeugen.
NGTs die laut EU Vorschlag zur einfacheren Genehmigung freigegeben werden sollen, enthalten keine Gene aus anderen Organismen. Sie können mit den besten Methoden von natürlichen Mutationen nicht unterschieden werden. Das schafft Probleme bei der Definition gentechnisch veränderter Organismen (GVO): sie sehen genauso aus wie natürliche Mutanten.
Einfache Erklär-Videos sind auf unserem YouTube Kanal zu finden (https://www.youtube.com/@sciencebridge6265/videos)
Im Folgenden sind einige der falschen oder irreführenden Aussagen und Erläuterungen aufgeführt. Sie wurden aus Presseartikeln, Aussagen von Politikern, Social Media Postings von NGOs und anderen Quellen gesammelt. Die Sammlung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
„Es gibt kein Beispiel dafür, dass Gentechnik die Nahrungsmittelversorgung verbessert hat.“
Die Aussage (u.a. von Ministerin Svenja Schulze) ist falsch. Nur eines von etlichen Beispielen ist Bt-Brinjal (Aubergine), ein Grundnahrungsmittel in vielen asiatischen Ländern wie Bangladesch.
Die Abbildung zeigt die Ergebnisse der offiziellen Evaluation nach sechs Jahren Anbau von Bt-Brinjal in Bangladesch.
„Entsprechend der neuen EU-Regulierung kämen Gentechnikprodukte ohne jede Sicherheitsprüfung auf den Teller.„
Die Aussage ist falsch. Auch nach einer Deregulierung der NGT würden die Pflanzen mindestens dem Sortenschutz unterliegen. Jede neu entwickelte Sorte wird auf Sicherheit überprüft, bevor sie auf den Markt gebracht werden darf.
„Die Risiken der Gentechnik sind nicht abschätzbar. Man kann nicht ausschließen, dass …„
Wissenschaftlich kann man nichts zu 100% ausschließen. Wir schätzen immer Nutzen und Risiken einer Handlung ab, auch z.B. beim Überqueren einer Straße.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat bereits 2014 in dem Bericht „25 Jahre biologische Sicherheitsforschung“ festgestellt, dass Gentechnikpflanzen (damals nach der „alten“ Gentechnik produziert) kein größeres Risiko darstellen, als konventionelle Züchtungen.
Viele Wissenschaftler sind heute der Ansicht, dass die gezielte Mutagenese mit CRISPR-Cas sogar geringere Risiken hat, als die ungerichtete Zufallsmutagenese.
Broschüre zu des BMBF zu 25 Jahren biologischer Sicherheitsforschung aus dem Jahr 2014.
„Eine Deregulierung der NGT verstößt gegen das Vorsorgeprinzip.„
Das hängt davon ab, wie man das Vorsorgeprinzip interpretiert. Risiken im Voraus abzuschätzen ist richtig. Dies darf jedoch nicht zu einer völligen Handlungsunfähigkeit führen.
Bei einer engen Auslegung sind alle möglichen Handlungsoptionen mit Risiken behaftet und müssten unterlassen werden. Das gilt auch für die Option Gentechnik zu verbieten – auch damit sind Risiken verbunden. Das spüren gerade die Menschen in Asien, die an Vitaminmangel sterben und denen man „vorsorglich“ den Golden Rice vorenthält.
Konsequenterweise sollte man, entsprechend dem Vorsorgeprinzip, alle verfügbaren Mittel einsetzen, um die Folgen des Klimawandels abzuschwächen. Bewusst auf gentechnisch optimierte Pflanzen zu verzichten, die Hitze und Dürre besser widerstehen können, würde das Vorsorgeprinzip missachten.
Die Gentechnik hat ihre Versprechen nicht gehalten.
Gerade für Deutschland ist die Behauptung absurd. Versprechen können nicht gehalten werden, wenn es praktisch ein Handlungsverbot gibt. Erforderliche Feldversuche wurden in Deutschland regelmäßig zerstört, sodass es die Wissenschaft aufgegeben hat, weitere Feldversuche zu beantragen. Freilandversuche mit Gentechnik-Pflanzen sind in Deutschland praktisch verboten – sie sind aber unbedingt erforderlich, um die Pflanzen unter realistischen Bedingungen zu untersuchen. Ohne dies, kann man keine Versprechen einhalten.
Beim Golden Rice gibt es den Vorwurf, dass die Effekte gegen Mangelernährung nur an einer kleinen Anzahl von Menschen nachgewiesen wurden. Felder, auf denen Golden Rice für größere Versuchsreihen angebaut wurde, wurden zerstört.
Weltweit sind durchaus Erfolge zu verzeichnen: Bauern kaufen, wenn verfügbar, gentechnisch optimiertes Saatgut, obwohl sie andere Möglichkeiten haben. In Ländern wie Indien (in denen Bt-Brinjal verboten ist) gibt es einen florierenden Schwarzmarkt an der Grenze zu Bangladesch, weil die Bauern nicht auf die Vorteile des optimierten Saatguts verzichten wollen
„Es wird eine Flut an Patenten geben, die den konventionellen Züchtungsfortschritt einschränken.„
Die Behauptung ist mit größter Wahrscheinlichkeit falsch.
NGOs vermischen gerne Patente auf die CRISPR-Cas-Methode an sich, auf Pflanzen, die mit der „alten Gentechnik“ hergestellt wurden und Patente auf Pflanzen, die auf NGT beruhen. Es ist jedoch ein großer Unterschied, ob man eine Methode oder ein Produkt (Pflanze) patentieren will.
Pflanzen, die auch auf natürlichem Weg durch Kreuzung oder Mutagenese entstehen können, sind keine „Erfindung“ im Sinne des Patentrechts. Nach EU-Biopatentrichtlinie ist ein „im Wesentlichen biologisches Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren“ von der Patentierung ausgeschlossen.
Ein Anti-Gentechnikverband kann bei NGT-Kategorie 1 nicht nachweisen, ob eine Mutation natürlich oder durch einen gentechnischen Eingriff entstanden ist. Ebenso kann ein Züchter nicht nachweisen, dass er eine Mutation gentechnisch erzeugt hat oder ob er sie in einem vorhandenen Genpool gefunden hat. Deshalb sind „naturidentische“ Mutationen m.E. nicht patentierbar. Sie können jedoch als Sorte angemeldet werden und der Züchter kann Lizenzgebühren erheben. Die Registrierung erfordert eine Sicherheitsüberprüfung. Der Sortenschutz erlaubt den Nachbau und weitere Züchtung auf der Basis einer registrierten Sorte.
Die Deregulierung wird deshalb vermutlich die problematische Patentierung von Saatgut eher bremsen als sie zu fördern.
„Die Bauern haben nichts davon, sie geraten nur in Abhängigkeit von den Saatgutkonzernen.„
Die Aussage ist falsch. Bauern sparen Arbeit, Maschinen, Diesel und den Einsatz von Pestiziden (s.o. Beispiel Bt-Brinjal). Es gibt ein großes, regional angepasstes Angebot an Saatgut, aus dem Bauern frei wählen können. Einige tun das. Anders ist nicht zu erklären, dass z.B. der Nischenmarkt von Soja und Baumwolle ohne die Verwendung von gentechnisch verändertem Saatgut bedient werden kann.
„CRISPR-Cas hinterlässt im Genom Narben.„
Den Begriff „Narben im Genom“ gibt es in den Biowissenschaften nicht und es ist nicht definiert, was damit gemeint ist. Es wird bisweilen behauptet, dass diese „Narben“ zur Erkennung gentechnisch veränderter Pflanzen dienen können. Wie das gehen soll, ist unbekannt zumal man nicht weiss, wie diese „Narben“ aussehen sollen..
„CRISPR-Cas hat eine viel größere Eingriffstiefe als konventionelle Züchtung.“
Den Begriff „Eingriffstiefe“ gibt es in den Biowissenschaften nicht und es ist nicht definiert, was damit gemeint ist. Die Methode unterscheidet sich von konventioneller Züchtung und Mutagenese durch größere Präzision und weniger genetische „Kollateralschäden“ (zusätzliche ungewünschte Mutationen). Wenn das als „Eingriffstiefe“ gemeint ist, wäre das eher positiv zu bewerten.
„Die Wissenschaft muss mehr Forschung betreiben, um Mutationen mit CRISPR-Cas nachweisen zu können – aber daran besteht kein Interesse.“
Die Aussage ist irreführend und falsch. Die Forschung sieht einfach keine Möglichkeit eine natürlich vorkommende Mutation von einer durch NGT induzierten Mutation zu unterscheiden. NGT-1 beruht auf natürlichen zelluläre Reparaturmechanismen, die keine Unterscheidung von natürlichen Mutationen erlauben.
Anti-Gentechnik-Organisationen unter Federführung von Greenpeace haben eine Arbeit publiziert, mit der angeblich Mutationen durch NGT nachgewiesen wurden. Es wurde tatsächlich eine Mutation nachgewiesen (das ist Routine in den molekularbiologischen Wissenschaften), es wurde jedoch nicht nachgewiesen, ob die Mutation natürlich entstanden ist oder durch NGT induziert war. Die Behauptung des Papiers „eine neue Methode für die Identifizierung von NGT erfunden zu haben“ wurde inzwischen zurückgezogen.
„‘Genpflanzen‘ kontaminieren /verseuchen /verunreinigen die Felder von Biolandwirten.“
Dass die Bio-Landwirtschaft die Gentechnikfreiheit als Markenzeichen trägt, ist ideologisch. Ob eine Mutation durch einen Sonnenstrahl oder durch CRISPR-Cas entstanden ist, spielt dabei eine große Rolle – problematisch ist nur, dass man die Ursache der Mutationen nicht unterscheiden kann!
Man kann aus ideologischen Gründen im Bäckerladen darauf bestehen, dass das Brot von einer Person mit roten Socken überreicht wird, weil Personen mit anderen Socken innerhalb dieser Ideologie nicht zu trauen ist und sie das Brot kontaminieren würden. Das Brot ist aber das gleiche.
Eine konstruktive, zielführende Zusammenarbeit zwischen Gentechnik und ökologischer Landwirtschaft, jenseits aller Ideologie, wird vielfach dringend empfohlen, um die SDG (Sustainable Development Goals) zu erreichen.
„Biodiversität und alte Sorten gehen verloren“
Die Abbildung der Samenbank im IPK Gatersleben wurde aus Urheberrechtsgründen entfernt.
Die „Genbank“ am IPK in Gatersleben (Leibnitz Institut), ist mit über 150.000 Samenproben eine der weltweit größten Sammungen
zum Erhalt der Biodiversität in der Landwirtschaft.
Alte Sorten gehen nicht verloren. Sie werden in großen Samenbanken (z. B. Arctic Vault, IPK Gatersleben u.a.) sorgfältig konserviert, unter anderem weil sie wertvolle genetische Ressourcen für neue Züchtungen sind.
Dass alte Sorten verdrängt werden ist allerdings richtig. Jährlich werden in Europa mehrere tausend neue Sorten angemeldet, die Vorteile wie bessere Erträge, höherer Nährwert, bessere Umweltanpassung u.a. haben. Die Auswahl für Landwirte und Züchter ist groß. Die Pflanzenzüchtung hat zu einer Zunahme der Biodiversität bei Nahrungsmittelpflanzen beigetragen. Das wird sich auch mit NGT nicht ändern.
„Große Teile der Wissenschaft sehen die Gentechnik sehr kritisch.“
Die Aussage ist falsch. Es mag einzelne Wissenschaftler geben, die gegen Gentechnik eingestellt sind. Die Mehrheit, repräsentiert durch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen, fordern eine Deregulierung der neuen gentechnischen Techniken (NGT) wie z.B. CRISPR-Cas.
Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen besteht aus:
- Alexander von Humboldt-Stiftung
- Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina
- Deutsche Forschungsgemeinschaft
- Deutscher Akademischer Austauschdienst
- Fraunhofer-Gesellschaft
- Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren
- Hochschulrektorenkonferenz
- Leibniz-Gemeinschaft
- Max-Planck-Gesellschaft
- Wissenschaftsrat
Hinzu kommen u.a. die wissenschaftlichen Fachgesellschaften, die im Biologenverband VBIO vereinigt sind (und weitere). Das sind knapp 30.000 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.
„Die Befürworter der Gentechnik sind abhängig von der Industrie bzw. werden von ihr bezahlt.“
Ja, es gibt tatsächlich Wissenschaftler, die für die Industrie arbeiten (es wäre sehr beunruhigend, wenn Medikamente, Saatgut und Flugzeuge von Laien entwickelt würden). Es ist aber absurd anzunehmen, dass die Industrie sämtliche Wissenschaftler in Universitäten und Forschungsinstituten sowie sämtliche Organisationen der Wissenschaftsallianz bestechen kann.
„Die Präzision der NGT ist nicht gegeben, es gibt unvorhersehbare Off-Target-Effekte, die unkalkulierbare Folgen haben können.“
Es ist richtig, dass CRISPR-Cas bisweilen Schnitte an anderen Stellen als beabsichtigt macht. Diese Off-Target-Effekte werden untersucht und die Pflanzen werden ggf. verworfen. Zunehmend wird das ganze Genom von NGT-Pflanzen durchsequenziert um unbeabsichtigte Veränderungen zu entdecken.
Es ist dabei zu beachten, dass die ungerichtete Mutagenese ausschließlich Off-Target-Effekte in großer Zahl mit „unkalkulierbaren Folgen“ erzeugt (es gibt bei der Zufallsmutagenese kein definiertes Target!). Eine umfassende Analyse der erzeugten Mutationen gab es nicht, weil die molekularen Werkzeuge dafür damals nicht zur Verfügung standen. Die Mutanten sind aber heute noch im Handel und wurden für weitere Kreuzungen verwendet. Nur die Erfahrung hat gezeigt, dass keine gesundheitlichen oder ökologischen Gefahren von diesen Pflanzen ausgehen.
Viele Wissenschaftler sind deshalb der Ansicht, dass NGT-Pflanzen ein geringeres Risiko als konventionell erzeugte Mutanten und Kreuzungen darstellen.
Vergleich der Wahrscheinlichkeit, mit verschiedenen Methoden, eine Mutation zu finden, die die Eigenschaften einer Pflanze verbessert.
oben: man wartet und sucht.
Mutationen (grüne Sterne) treten immer auf. Unter etlichen tausend Pflanzen findet man vielleicht die eine Mutation (roter Stern) die zu der gewünschten Eigenschaft führt.
mitte: man erhöht die Mutationsrate und sucht.
Die natürlichen, grünen Mutationen sind nach wie vor da. Hinzu kommen sehr viele gelbe Mutationen, die durch Bestrahlung oder Chemikalien ausgelöst wurden. Die Wahrscheinlichkeit, die gewünschte Mutation (rot) zu finden, ist viel größer (zusätzlich gibt es allerdings sehr viele ungewünschte Mutationen).
unten: zielen und prüfen
man „zielt“ mit CRISPR-Cas genau auf das Gen, das man mutieren will. In den meisten Fällen trifft man (rot). Sehr selten kann zusätzlich ein anderes Gen getroffen werden (gelb). Die gewünschte Mutation wird geprüft und man sucht sorgfältig, ob es noch einen weiteren Treffer gab.
„Komplexe Eigenschaften wie eine Anpassung an den Klimawandel sind mit NGT nicht rechtzeitig durchführbar.“
Das ist eine Behauptung ohne Substanz. Es gibt bereits verschiedene gentechnisch modifizierte Pflanzen, die größere Resilienz gegen Trockenheit oder Hitze aufweisen.
Richtig ist, dass eine umfassende Anpassung an den Klimawandel nicht so einfach durch die Modifizierung eines einzelnen Gens erreicht werden kann. Klassische Züchtungsmethoden sind da aber auch nicht besser und können auch nicht „rechtzeitig“ zur Marktreife gebracht werden. Am schnellsten ist eine sinnvolle Kombination von Gentechnik und Kreuzungsgenetik. Eines der verfügbaren Werkzeuge abzulehnen wäre dumm.