Keine ganz normale Ernte (2)

Bitte beachten Sie ganz am Ende des Artikels die Ergänzung vom 27.4.2023!

Teil 2: Interview mit Ingo Potrykus

Gemeinsam mit Peter Beyer begann Ingo Potrykus 1991 die Entwicklung des „Golden Rice“, einer gentechnisch modifizierten Sorte, die mit dem Vitamin A-Vorläufer ß-Carotin angereichert ist und helfen soll, Mangelernährung, besonders in Asien, zu lindern. Der Weg von den ersten „goldenen Körnern“ bis zur ersten Ernte im vergangenen Jahr (2022) war steinig. Ingo Potrykus war freundlicherweise bereit, die vielen Fragen und Rückfragen des BioWissKomm Teams (Hanna Willenbockel, Jann Buttlar und Wolfgang Nellen) geduldig und ausführlich zu beantworten.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
Hintergrundinformationen zum Golden Rice gibt der Blog-Artikel

Ingo Potrykus – Vogelbeobachter und Naturschützer (Foto: Alex Labhardt, 2012)

BioWissKomm: Sie sind nicht unbedingt einen klassischen Karriereweg gegangen. Sie waren Lehrer bevor Sie in die Wissenschaft wechselten. War das damals eine leichte Entscheidung für Sie? Und was würden Sie jungen Menschen raten, die heute entscheiden müssen, was sie mit ihrem Biologiestudium anfangen?

Potrykus: Die Entscheidung vom Lehrberuf in die Wissenschaft zu wechseln war nicht leicht, da ich die Verantwortung für eine Familie mit zwei Kindern hatte und ich meine Beamtenstelle auf Lebenszeit für eine unsichere Zukunft aufgeben musste. Ich denke nicht, dass ich irgendetwas raten kann. Die Situation ist heute so anders.

BioWissKomm: Wieso haben sie sich ausgerechnet für die Biologie entschieden? Schließlich hätten sie auch in vielen anderen Fachgebieten Gutes bewirken können.

Potrykus: Ich bin seit meiner Jugend Biologe. Ich war und bin heute noch ein „Feld-Wald-Wiesenbiologe“ und Naturschützer. Ich musste mich nicht „entscheiden“, ich war das einfach. Zur Gentechnik kam ich erst spät und nur als Mittel zum Zweck. Und Gentechnik war immer nur Teil meines Interesses, auch wenn ich einer der Pioniere ihrer Entwicklung war. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass mir mit Hilfe der Gentechnik meine wichtigsten Beiträge für die Menschheit gelungen sind.

BioWissKomm: In dem Artikel in „Republik“ sagen sie, dass die Wissenschaft sich zu sehr in den Grundlagen verliert. Worauf sollten sich junge Wissenschaftler (und Studenten), Ihrer Meinung nach, konzentrieren? Muss sich die Forschung mehr auf Anwendungen fokussieren?

Potrykus: Wir brauchen beides – Grundlagenforschung und die Anwendung von ihren Ergebnissen. Studenten können zwar entscheiden, ob sie eine Arbeitsgruppe anstreben, die sich eher auf Grundlagen oder eher auf Anwendungen konzentriert. Was sie aber letztendlich machen können, hängt davon ab, was ihre Betreuer finanziert bekommen. Das gilt auch für die Professoren. Selbst wenn sie sich für Anwendungen interessieren, können sie bestenfalls eingeschränkt daran arbeiten. Das akademische Forschungssystem finanziert das nicht. Unsere Forschungsförderung finanziert „Grundlagenforschung“. Die Anwendung überlässt man der Industrie. Die Industrie bearbeitet Projekte, die einen finanziellen Gewinn versprechen. Humanitäre Projekte fallen nicht in diese Kategorie. Damit fallen humanitäre Projekte durch alle Finanzierungsraster. Leider wenden viele Professoren Zeit dafür auf, finanziell interessante Forschung für die Industrie zu machen. Die „öffentliche Hand“ finanziert nicht Forschung im „öffentlichen Interesse“, wie z.B. für „humanitäre Projekte“ wie den „Goldenen Reis“, der die Not der Armen lindern kann. Das überlässt man gern humanitären Stiftungen, wie z.B. der Bill & Melinda Gates Foundation.

„Golden Rice Humanitarian Board“: das Core-Team. Von links: Ingo Potrykus, Adrian Dubock, Peter Beyer (Foto: Helena)

BioWissKomm: Wie sehen Sie die Chancen für junge deutsche/europäische Pflanzenwissenschaftler? Wird der Golden Rice einen Durchbruch zur Akzeptanz bringen oder ist es eher empfehlenswert, Forschung und Entwicklung in anderen Ländern zu machen? Nicht jeder hat das Durchhaltevermögen wie Sie!

Potrykus: Nein, ich sehe kaum Chancen für junge Wissenschaftler. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.         

Mein „Durchhaltevermögen“ in der Forschung konnte ich mir leisten, weil ich in der privilegierten Situation eines ETH-Professors war, der genügend unabhängige Finanzierung hatte, ein so riskantes Projekt anzugehen und an einem Institut arbeitete, in dem Dank der Weitsicht des Nobelpreisträgers Professor Werner Arber, drei Professuren zur Grundlagenforschung und sechs Professuren zu Angewandter Forschung kombiniert waren – in dem Institut für Pflanzenwissenschaften der ETH Zürich.

Selbst die Professuren für Angewandte Forschung konnten mit den verfügbaren Mitteln nur die „Grundlagenforschung für die Anwendung“ machen. Für den „weit größeren Brocken“, die Entwicklung eines „GMO-Produkts, der deregulierten Sorte“, von dem jetzt in den Philippinen 67 Tonnen geerntet wurden, waren wir völlig allein gelassen. Die Entwicklung eines „Produkts“ war jedoch zwingend nötig. Nur mit einem „Produkt“ kann man Menschen helfen. Von Forschungsergebnissen wird niemand satt oder gesund.
Die „öffentliche Hand“ hatte weder Interesse noch die Finanzen, so ein humanitäres Projekt anzugehen. Die WHO z.B., die das UN-Mandat und die UN-Mittel hat, Vitamin A-Mangel zu bekämpfen, weigerte sich bis heute hartnäckig, uns zu unterstützen. Warum? Die Antwort ist so empörend wie einfach: die wichtigsten UN-Geberländer sind dagegen. Ja, wir Europäer blockieren mit unserer hysterischen Einstellung gegenüber der Gentechnik den Einsatz lebensrettender Technologie.

Golden Rice (Malusog 1), Feld auf den Philippinen (Foto: PhilRice)

BioWissKomm: Ein Vorwurf an die grüne Gentechnik ist ja oft, dass sie in Monokulturen, in konventioneller Landwirtschaft mit viel Pestiziden verwendet wird. Sehen Sie die Möglichkeit, grüne Gentechnik auch mit ökologischem Landbau zu verbinden (so wie es bereits der Umweltethiker Konrad Ott vor fast 20 Jahren vorschlug)? Woran ist das bisher gescheitert?

Potrykus: Auch der ökologische Landbau verwendet Monokulturen. Pestizide sind nicht grundsätzlich „schlecht“. Im „Integrierten Landbau“ (nach meiner Meinung die zu bevorzugende Art des Landbaus) werden sie nach dem Schadschwellenprinzip optimiert eingesetzt: nur wenn nötig und nur so viel wie nötig.

BioWissKomm: Die Öffentlichkeitsarbeit zur Akzeptanz des Golden Rice, auch durch das Golden Rice Humanitarian Board, war begrenzt effektiv. Er wurde oft als „Trojanisches Pferd der Gentechnik“ bezeichnet und auch die Patentfreiheit und die kostenlose Verteilung des Saatguts hat nicht viel an den Negativkampagnen geändert. Ebenso hatte die Unterstützung durch Wissenschaftler wie Urs Niggli, dem amerikanischen Paar Pamela Ronald und Raoul Adamchak und Sir Richard Roberts sowie weiteren zahlreichen Nobelpreisträgern nur eingeschränkten Erfolg. Woran lag das?

Potrykus: Greenpeace macht ausschließlich Öffentlichkeitsarbeit mit Millionen von Euros. Wir hatten dafür keine Mittel. Wir mussten ja vor allem arbeiten! Trotzdem habe ich mit meiner Arbeitsgruppe stets im Rahmen meiner Möglichkeiten die GMO-Technologie in der Öffentlichkeit vertreten, einschließlich Protestmärschen auf der Straße.
Zum Fall des öffentlichen Briefs von 158 Nobelpreisträgern und Tausenden von Fachkollegen an Greenpeace: Die Antwort von Greenpeace ist an Dummheit und Arroganz nicht zu übertreffen: „Die verstehen ja nichts davon!“
Keines der Mitglieder des hochdotierten Leitungsgremiums von Greenpeace hat je ernsthaft experimentelle Wissenschaft betrieben! Sie wissen zwar nichts, aber dafür „wissen sie alles besser.“ So einfach ist das mit einer „Ideologie“. Als einer der letzten Greenpeace Chefs wagte vorzuschlagen den Goldenen Reis einmal ergebnisoffen zu diskutieren, wurde er gefeuert.
Monsanto war ein Glücksfall für Greenpeace. Als es gelang Gentechnik mit Monsanto zu verbinden „war alles gelaufen“. Gentechnik gleich Monsanto! Schlimmeres war für die öffentliche Meinung nicht denkbar. Von da ab war die Technologie diskreditiert, ganz gleich, was damit gemacht wurde. Der Begriff Gentechnik löst Abwehrreflexe aus und verhindert jede sachliche Auseinandersetzung.

BioWissKomm: Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis der Erfolg von Golden Rice bei der Bekämpfung von Mangelernährung statistisch nachgewiesen werden kann. Ein solcher Praxiserfolg wäre ein empfindlicher Verlust an Glaubwürdigkeit für die Organisationen, die ihn über viele Jahre bekämpft haben.
Erwarten Sie eine neue Kampagnenwelle um z.B. die Akzeptanz für Golden Rice in der Bevölkerung zu untergraben?

Potrykus: Ja.

BioWissKomm: Inzwischen gibt es immer mehr Wissenschaftler, die sich in verschiedenen Initiativen und Projekten für einen produktiven Wissenschaftsdialog einsetzen. Beispielsweise der Verein Öko-progressives Netzwerk e.V. oder etablierte Einrichtungen wie das „Gläserne Labor“ in Berlin, die solide Öffentlichkeitsarbeit leisten – und auch BioWissKomm versucht einen kleinen Beitrag zu leisten. Insgesamt ist die Skepsis in der Bevölkerung gegenüber grüner Gentechnik und damit auch gegenüber Golden Rice aber sehr hoch. Um der Allgemeinheit einen besseren, realistischen Einblick in Wissenschaft zu geben, Ängste zu durchbrechen und generell einen guten Dialog über Gentechnik zu ermöglichen – was wären Ihre Wünsche …
… an wissenschaftliche Institutionen?

Potrykus: Erklärt der Öffentlichkeit anhand attraktiver Beispiele (ohne zu übertreiben) welchen Vorteil die Gesellschaft von der Wissenschaft hat. Es braucht viel mehr Wissenschaftsjournalisten mit experimenteller Erfahrung.

BioWissKomm: … an die Politik?

Potrykus: Hört auf international anerkannte Wissenschaftler (z.B. über die Akademien) und lauft nicht den Scharlatanen der Pseudowissenschaften nach. Sehr schwer zu verwirklichen, da kaum ein Politiker aus eigener Erfahrung weiß, was „Wissenschaft“ ist.

BioWissKomm: … an junge Pflanzenwissenschaftler (um deren Zukunft es schließlich geht!)?

Potrykus: Die Arbeit mit Gentechnik ist in Deutschland und Europa „verbrannte Erde“.

BioWissKomm: … an die Bevölkerung?

Potrykus: Kein Kommentar

BioWissKomm: Bei der Entwicklung des Golden Rice gab es Probleme wie bei jedem wissenschaftlichen Projekt: bei der ersten Version lag der ß-Carotin-Gehalt viel zu niedrig,

Potrykus: Falsch, obwohl dies der publizierten Sachlage nach stimmt. Unser erster Prototyp hatte im heterozygoten Zustand 1,6 Mikrogramm/Gramm Provitamin A. Der heute in den Philippinen angebaute Goldene Reis hat 4-5 Mikrogramm. Es wäre, nach Aussage des Chef-Reiszüchters vom IRRI, Gurdev Khush ein Leichtes gewesen, diese Lücke in ein paar Rückkreuzungen zu schließen.

BioWissKomm: Bei einer späteren Version wurde ein „falsches“ Event, (eine gentechnisch veränderte Variante) ausgewählt, das suboptimale Erträge brachte.

Potrykus: Stimmt, aber warum? Pflanzenzüchtung liest „richtige Events“ aus, indem sie Hunderttausende von Individuen auf ihre Reaktion auf klimatische und agronomische Bedingungen im Feld untersucht. Die GMO-Vorschriften verbieten strikt das ins Feld bringen von GMOs bevor sie dereguliert (d.h. zugelassen) sind. Jetzt testen Sie mal die Reaktion auf Umwelt- und agronomische Bedingungen in einer Klimakammer!  Die GMO-Vorschriften verunmöglichten für viele Jahre jede vernünftige Arbeit.

BioWissKomm: In der Wissenschaft sind solche Rückschläge Routine – man geht ins Labor, sucht die Fehler und arbeitet an der Optimierung

Potrykus: Das waren keine Routine-Rückschläge, sondern durch die GMO-Regeln unvermeidbare Umwege. Ja, der Gedankengang ist richtig, aber unsere Probleme waren zu 99% durch die GMO-Regeln bedingt.

Ingo Potrykus, Peter Beyer (2004): Inspektion transgener Reispflanzen im Gewächshaus (Foto: Ariel Javellana, IRRI)

BioWissKomm: Bei einem Projekt mit solcher öffentlichen Aufmerksamkeit wurden Rückschläge als „Scheitern“ interpretiert. Was müssen Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation tun, um in der Öffentlichkeit mehr Verständnis/Einsicht in wissenschaftliche Arbeitsweise zu erzeugen?

Potrykus: Siehe oben: mehr Wissenschaftsjournalisten und mehr Geld für Redaktionen damit sie kompetente Wissenschaftsjournalisten einstellen können. Und für alle Medien: mehr politische Ausgewogenheit unter den Medienschaffenden. Das rot-grüne Übergewicht ist ein Ärgernis und ungesund für die Demokratie. Generell sehe ich in den Medien ein Hauptproblem. Sachlich korrekte und informative Artikel, die Raum für eigene Interpretation lassen, sind in der Minderheit. Meinung statt Information ist für mich kein Journalismus.

BioWissKomm: Es scheint, dass bei jungen Menschen und auch bei den Grünen (beispielsweise angestoßen durch Hauke Köhn in Niedersachsen und Dorothea Kaufmann in Rheinland-Pfalz) langsam ein Umdenken stattfindet. Glauben Sie, dass sich das durchsetzen wird?

Potrykus: Das ist sehr lobenswert, aber ich bin nicht optimistisch.

BioWissKomm: In Deutschland, der EU und weltweit gibt es viele Projekte, in denen an GT-Pflanzen geforscht wird, die beispielsweise weniger Pestizide und Dünger brauchen und die besser an den Klimawandel angepasst sein sollen. Teilweise haben diese Pflanzen cisgenetische Modifikationen (genetische Modifikationen, die aus alten, ursprünglicheren Sorten der selben Art stammen), die sie sogar eher an ihre evolutionär ursprünglichere Form heranbringen. Wird das die Zukunft sein? Sehen Sie dafür eine Chance in Deutschland?

Potrykus: Das cisgenetische Konzept ist eine opportunistische Reaktion auf die Behauptung der Gentechnikgegner, dass „Fremd“ DNA ein unabschätzbares Risiko darstellt. Es gibt keine „Fremd“-DNA. Die DNA aller biologischen Wesen ist ein evolutionäres Kontinuum und alle Organismen enthalten natürlicher Weise beträchtliche Mengen an DNA aus anderen systematischen Kategorien. Die Evolution benutzt schon immer die Aufnahme von DNA als Vehikel für den Fortschritt. Der Ausdruck „Fremd-DNA“ ist nichts als ein effizientes Propagandainstrument der Gentechnikgegner.

BioWissKomm: Das Konzept des Golden Rice, nämlich Grundnahrungsmittel mit Vitaminen und anderen wichtigen Inhaltsstoffen anzureichern, hat sich in der Wissenschaft durchgesetzt: es gibt z.B. bereits gentechnisch optimierte Cassava und Hirse. Weitere Pflanzen sind in Arbeit oder bereits im Feldversuch. Wo sehen Sie den größten Bedarf für die Zukunft der Welternährung? Welche Projekte würden Sie heute angehen (unter der Annahme, dass das Vitamin A-Problem gelöst ist)?

Potrykus: Es war das Golden Rice Projekt, welches das Konzept der „Biofortifikation“ – der Verbesserung des Gehalts an Mikronährstoffen im Erntegut – initiiert und ihm zum Durchbruch verholfen hat. Der Erfolg dieses Projekts hat die Gates Foundation bewogen, massiv in den Ansatz der Biofortifikation zu investieren – auch und besonders in GMO-unabhängige Projekte. (Kleine Anmerkung: mein Labor war einer der Pioniere der Cassava Biotechnologie.) In Ertragssteigerung und Ertragssicherung investiert weiterhin die Industrie. Und das wird so bleiben, solange Nahrungsmittelqualität nicht durch höhere Preise honoriert wird. Deswegen würde ich weiterhin den Bereich der „Mikronährstoffe“ bearbeiten, mit dem Ziel, den Gehalt in Grundnahrungsmitteln (vor allem Getreide) in Bezug auf möglichst viele Vitamine, Mineralien und essentielle Aminosäuren zu erhöhen – gleichzeitig in ein und derselben Pflanze! Wir haben im selben Jahr, in dem die Publikation über den Vitamin A-Reis erschien, bereits über Reis mit erhöhtem Eisengehalt publiziert. Gegenwärtig arbeitet das IRRI (International Rice Research Institute) an einem Vitamin A / Eisen / Zink – Reis (Eisen- und Zink-Anämie sind Riesenprobleme). Dieses Konzept der Optimierung möglichst vieler Mikronährstoffe in ein und derselben Pflanze müsste natürlich ausgeweitet werden auf möglichst viele Grundnahrungspflanzen. Dies erfordert eine Kooperation zwischen Gentechnik und Pflanzenzüchtung.

BioWissKomm: Viele Menschen haben kaum eine Vorstellung wie langsam oder schnell bestimmte Prozesse ablaufen.
Wie lange hätte Golden Rice (in der heutigen Version) ohne die „Opposition“ gedauert, um ihn aufs Feld zu bringen?
Potrykus: Nach Aussage des Chef-Reiszüchters am IRRI drei Jahre oder acht Rückkreuzungsgenerationen. Wäre Golden Rice kein GMO gewesen, würde er seit 2003 genutzt und hätte in den fast 20 Jahren Millionen von Kindern vor Erblinden und Tod bewahrt.

BioWissKomm: Wie lange hätte es mit konventionellen Kreuzungsmethoden gedauert?

Potrykus: Unendlich. Geht nicht. Die Reiszüchtung hat vergeblich alles versucht, dieses Ziel zu erreichen und hat deswegen die Gentechnik um Hilfe gebeten. Unser Projekt war die Antwort auf diesen Hilferuf.

BioWissKomm: Wie lange hätte es mit der „neuen Gentechnik“ CRISPR-Cas gedauert?

Potrykus: Genau so lang wie mit „konventioneller“ Gentechnik, da CRISPR das nur mit Hilfe der Gentechnik machen könnte. Ein CRISPR-Golden Rice müsste all die regulatorischen GMO-Hürden überwinden, die wir überwunden haben. Er brächte keinen Vorteil.

BioWissKomm: Das sollten wir kurz erklären: auch mit CRISPR müsste beim Golden Rice „Fremd-DNA“ eingebracht werden. Selbst nach Reformierung des EU-Gentechnikrechts würde das Produkt derselben strengen Regulierung unterliegen wie konventionelle Gentechnik.

Potrykus: Ich warne vor einem grassierenden Hype und einer Konfusion um CRISPR. CRISPR ist eine effiziente Technik zur Gewinnung von Mutationen. CRISPR wird „verkauft“ als Technik, die das Genom nicht verändert. Und darauf beruht der Anspruch, von den GMO-Vorschriften ausgenommen zu werden. CRISPR hat Vorteile in Bezug auf „loss-of-function“ Projekte, d.h. das Ausschalten bestimmter Genfunktionen. CRISPR hat aber große Schwierigkeiten bei „gain-of-function“ Projekten, bei denen zusätzliche Funktionen eingefügt werden sollen. Ich beobachte zunehmend die kuriose Situation, dass man mit CRISPR ganz normale Gentechnik betreibt (man ersetzt nur Agrobacterium durch CRISPR) und wundert sich dann, dass die regulatorischen Autoritäten das zu Recht als Gentechnik verstehen – und regulieren. Pech, dass die Anzahl an attraktiven loss-of-function Projekten sehr beschränkt ist. Andererseits besteht kein Zweifel daran, dass man „Gentechnik“ betreibt – mit allen Konsequenzen – wenn man „Fremd-DNA“ mit CRISPR überträgt und diese nicht wieder entfernt. Gene Editing kann Gentechnologie nicht ersetzen; sie kann sie ergänzen. Gain-of-function Projekte, wie z.B. Golden Rice, gehen, mit komplizierten Ausnahmen, nur mit Hilfe der Gentechnik. Man gewinnt in Bezug auf die Regulation überhaupt nichts.
Zusätzlich: hat man sich eigentlich mal Gedanken darüber gemacht, was das in Bezug auf Patentlimitierung heißt? Die Agrobacterium Patente sind praktisch alle abgelaufen. Bei CRISPR stehen wir am Anfang eines jahrzehnte-langen, komplizierten Patentstreites. Für die Anwendung ein Horror.

BioWissKomm: Zum Schluss eine eher philosophische Frage: Mit Begriffen wie „Natur“ und „Natürlichkeit“ verbindet man meistens etwas Gutes, etwas Schützenswertes. Gene sind, ebenso wie genetische Veränderungen durch Mutationen „natürlich“ – sonst gäbe es keine Evolution. In dem Begriff „Gentechnik“ steckt andererseits aber auch das Wort „Technik“ drin, womit viele Menschen assoziieren, dass man sich mit einer „Technik“ über die Natur stellt, was oft als schlecht oder arrogant interpretiert wird. Was bedeuten für Sie die Begriffe „Natürlichkeit“ und „Technik“. Ist der Mensch überhaupt noch Teil der Natur?

Potrykus: Ja, natürlich, die „liebe Mutter Erde – Gaia“. Die „Natur“ ist weder „lieb“ noch „gütig“. Sie ignoriert jede moralische Kategorie. Die Natur ist indifferent, gleichgültig und folgt konsequent ihren Gesetzen. Dabei wirkt sie oft „grausam“ und „ungerecht“.
Nur indem wir ihre Gesetze zu unserem Vorteil nutzen – Techniken entwickeln – können wir überleben. Ich rede nicht der Maßlosigkeit das Wort! Der Mensch hat eine moralische Verantwortung. Er ist verpflichtet zu einem maßvollen Umgang mit der Natur. Aber dabei helfen unsere Technologien. Der Mensch als biologisches Wesen kann gar nicht anders als Teil der Natur zu sein. Viele Menschen haben eine völlig falsche Vorstellung von Natur. So war Deutschland z.B. im „natürlichen“ Zustand fast ganz von Wald bedeckt, mit wenigen Baumarten und einer wesentlich geringeren „Biodiversität“ als heute. Was in der Landschaft der vorindustriellen Zeit als „natürlich“ empfunden und verklärt wird, war und ist „Kulturleistung“ des Menschen (zu einem hohen persönlichen Preis einer Landbevölkerung, die noch die Mehrheit war). Diese Natur war seit jeher in einem ständigen Wechsel begriffen. Die Technik hatte uns auch damals ermöglicht, diese Kulturleistung zu erbringen. Sie ist nicht unser Feind, sie ist unser Freund. Wir sollten uns davor hüten, einen romantisch verklärten Zustand des letzten Jahrhunderts als Museum fixieren zu wollen. Damals musste die Mehrheit hart für unsere Ernährung arbeiten; heute bekommen wir sie von einer sehr kleinen Minderheit geschenkt – dank der Technikentwicklung in allen Sektoren der Landwirtschaft. Die große Mehrheit der Bevölkerung hat keine Ahnung von der Landwirtschaft, meint aber berechtigt zu sein, denen, die Landbau mit Erfahrung und Erfolg professionell betreiben, ständig vorschreiben zu müssen, wie sie das zu tun haben. Diese Diskrepanz zwischen Ignoranz und Anspruch – nicht nur im Bereich der Ernährungssicherung sondern generell – scheint mit eine der grundlegenden Ursachen für Deutschlands Abstieg.

BioWissKomm: Herr Potrykus, wir danken Ihnen ganz herzlich für das Interview und hoffen mit Ihnen, dass der Golden Rice bald in den Händen der Bauern ist, die ihn brauchen!

Webseite Golden Rice Humanitarian Board: http://www.goldenrice.org/index.php

Titelbild: Weißer Reis und Goldener Reis (Foto: IRRI)

Ergänzung 27.04.2023
Der Supreme Court in Manila hat geurteilt, dass der Anbau von Golden Rice (und Bt-Brinjal) gestoppt wird.

Damit ist die vorsichtig optimistische Sichtweise des Interviews hinfällig. Auf die Frage, ob er weitere Aktionen der NGOs gegen Golden Rice erwartet, hatte Potrykus mit einem simplen „Ja“ geantwortet. Das bestätigt sich nun.

Dem weltweiten Konsortium mächtiger Anti-Gentechnik-Organisationen ist es wieder einmal gelungen, Einfluss auf nationale Rechtsprechung zu nehmen. Folgerichtig lobt Greenpeace den „Gewinn für die philippinischen Bauern“. Der „Gewinn“ besteht voraussichtlich in mehreren 100.000 Opfern durch Mangelernährung. Eine Verantwortung dafür werden die NGOs wohl kaum übernehmen.

Das gleichzeitige Verbot zum Anbau von Bt-Brinjal (Aubergine) wird ebenfalls Todesopfer fordern: in Bangladesch wird Bt-Brinjal seit 2014 angebaut.  Die Ergebnisse der Evaluation sind in der Grafik gezeigt.

Interessant: in Indien ist Bt-Brinjal inzwischen wieder verboten. Die Kleinbauern helfen sich jedoch selbst: an der Grenze zu Bangladesch ist ein blühender Schwarzmarkt mit Bt-Saatgut entstanden. Das ist nicht ganz ungefährlich denn dieses Saatgut ist meist nicht kontrolliert und zertifiziert. Betrug mit falschem oder verunreinigtem Saatgut kann zu großen Ernteausfällen führen.