Keine ganz normale Ernte (1)

Teil 1: Die Hintergründe zum Projekt „Golden Rice“

Um den „Golden Rice“ ist es in den letzten Jahren sehr ruhig geworden. Es schien alles gesagt zu sein und die Arbeit „hinter den Kulissen“ fand wenig öffentliches Interesse. Nun ist er aber mal wieder in den Medien aufgetaucht – beispielsweise in einem sehr lesenswerten Artikel in der „Republik“, sowie im „Spiegel“, der „Neuen Zürcher Zeitung“ und bei „Der Standard“. „Time“ zählt die erste Ernte zu den „10 Ways the World Got Better In 2022“.

Nach mehr als 20 Jahren harten Kampfes um Genehmigungen und heftigen Kampagnenschlachten wurde in den Philippinen nun die erste Ernte von etwa 70 Tonnen eingefahren – eine zunächst bescheidene Menge im Vergleich zur Gesamtjahresproduktion von etwa 18 Mio. Tonnen „gewöhnlichen“ Reis pro Jahr.
Die Geschichte des goldgelben Reis ist lang und verzwickt. Einerseits gab es Verzögerungen bei der Entwicklung selbst, andererseits gab es massive Störkampagnen, die Versuchsanbau und Genehmigungen lange Zeit verhindert haben. NGOs, u.a. Greenpeace, haben viele Millionen Euro eingesetzt, um den potenziell lebensrettenden Reis zu stoppen. Politiker haben sich nicht gescheut, falsche Daten zu verbreiten, um das oft als „Trojanisches Pferd der Gentechnik“ bezeichnete Projekt zu torpedieren. So wurde vielfach behauptet, das Golden Rice Projekt sei ein Vorwand um Akzeptanz zu gewinnen und Gentechnik so „durch die Hintertür“ einzuführen. Das „Golden Rice Humanitarian Board“ schätzt, dass diese Auseinandersetzungen die Nutzung um mindestens 12 Jahre verzögert und die Kosten um 65 Millionen Dollar erhöht haben. Den Zeitverlust kann man nach Zahlen der WHO (s. unten) auch in etwa 1,5 Millionen vermeidbare Todesopfer umrechnen.

Was ist „Golden Rice“?

Reis ist das Grundnahrungsmittel in Asien und der Hauptlieferant für Kalorien. In vielen Schwellen- und Entwicklungsländern Asiens gibt es deshalb den „verborgenen Hunger“: der Mangel an vielseitiger Ernährung aufgrund zu hoher Lebensmittelkosten führt zu Defiziten bei Mikronährstoffen in der armen Bevölkerung. Es geht also nicht darum, dass die Menschen insgesamt zu wenig zu essen haben, sondern dass ihnen bestimmte Nährstoffe wie z.B. Vitamine fehlen. Ein großes Problem ist die Vitamin-A-Defizienz (VAD), die zu Erblindung und Tod führt. Die WHO rechnet mit ca. 250.000 bis 500.000 Opfern pro Jahr.   Ingo Potrykus und Peter Beyer haben Ende der 1990er Jahre begonnen, Reis gentechnisch mit einer Vitamin A-Vorstufe anzureichern. Dazu wurden Gene in das Reisgenom eingebaut, die für Enzyme codieren, die wiederum die Synthese des Vitamin A Vorläufers ß-Carotin bewerkstelligen. Im menschlichen Körper wird ß-Carotin in Vitamin A aufgespalten. Sie benutzten dazu die Kenntnisse zur Biosynthese von ß-Carotin und den Werkzeugkasten der Natur: Gene aus anderen Organismen, die einzelne Schritte der ß-Carotin-Synthese durchführen. Ursprünglich nahm man an, dass drei Enzyme (Gene) erforderlich sind, um aus den im Reiskorn vorhandenen Grundstoffen ß-Carotin zu produzieren: ein Gen namens PSY holte man sich aus der Narzisse, ein zweites (LCY) kam ebenfalls aus der Narzisse und das dritte (CRTI) aus dem Bakterium Pantoea ananatis.

Das vereinfachte Schema der ß-Carotin-Synthese beginnt bei Geranylgeranyl-PP, einem Stoff, der im Reis ohnehin hergestellt wird. Das Gen für das Enzym Phytoen-Synthase, die für den nächsten Schritt erforderlich ist, wurde zunächst aus der Narzisse, später aus dem Mais geholt. Das Enzym Crt1 katalysiert die beiden nächsten Schritte und stammt aus einem Bakterium. Das Gen für Lycopen-Cyclase aus der Narzisse wurde anfangs auch noch eingebaut. Es stellte sich aber heraus, dass ein ähnliches Enzym bereits im Reis vorhanden war. (Schema: Wikiwand)

Für einen Laien mag das abenteuerlich klingen: so viele „fremde“ Gene und „fremde“ Enzyme? Wenn das mal gut geht! Es hört sich jedoch etwas weniger abenteuerlich an, wenn man bedenkt, dass ein genetischer Austausch zwischen unterschiedlichen Arten in der Natur recht häufig vorkommt, beispielsweise auch zwischen Bakterien und Pflanzen. In Bezug auf den Menschen darf man nicht vergessen, dass Diabetiker sich über Jahrzehnte Insulin aus Schweinen gespritzt haben und dass der Milchzucker in der „lactosefreien Milch“ meist von Enzymen aus Schimmelpilzen abgebaut wurde.

Es stellte sich sehr schnell heraus, dass das Konzept aufging: mit dem bloßen Auge waren gold-gelbe Reiskörner zu erkennen, die ß-Carotin angereichert hatten (s. Titelbild).

Der „proof-of-principle“ reichte jedoch nicht aus. Man fand heraus, dass das LCY-Gen nicht unbedingt erforderlich war. Der Reis hatte bereits ein Enzym, das den Job durchführen konnte. Das PSY-Gen funktionierte zwar, aber nicht optimal. Das entsprechende Gen aus Mais arbeitete wesentlich besser und der Gehalt an ß-Carotin konnte in „Golden Rice 2“ nochmal deutlich gesteigert werden.

Geschälte und polierte Körner vom ursprünglichen weißen Reis (links), Golden Rice 1 (mitte) und Golden Rice 2 (rechts). Die goldgelbe Farbe entsteht durch die Einlagerung von ß-Carotin. (Foto: Golden Rice Humanitarian Board)

Der Gehalt eines Korns des Golden Rice ist so hoch, dass 60 Gramm (trockener) Reis ausreichen, um den Vitaminmangel zu beheben. Dabei waren selbst die Erfinder nicht so optimistisch, dass sich damit alle Probleme gleich in Luft auflösen würden. Sie schätzten, dass etwa 50% der Todesfälle durch VAD verhindert werden könnten – das wären immerhin 100.000 bis 250.000 Opfer pro Jahr.

Golden Rice und seine Gegner

Potrykus und Beyer hatten von Anfang an ein humanitäres Projekt angestrebt. In Verhandlungen wurde der Patentschutz eingeschränkt, sodass Kleinbauern das Saatgut kostenlos erhalten und auch nachzüchten können. Auch das Einkreuzen in lokale Sorten ist erlaubt und wird vom International Rice Research Institute (IRRI) unterstützt.

Theoretisch hätte Golden Rice bereits im Jahr 2003, also nach ca. 4 Jahren Entwicklungszeit, auf den Feldern wachsen können. Die größte Hürde war jedoch die Zulassung zum Anbau, die fast 20 Jahre gedauert hat. Sehr desillusioniert stellt Potrykus in unserem Interview fest, dass dieser Genehmigungsprozess etwa 2 Millionen Menschenleben gekostet haben könnte.

Natürlich muss bei jedem neuen Lebensmittel auf Unbedenklichkeit und Sicherheit geachtet werden.
Es ist jedoch wahrscheinlich, dass es bei den Gegenbewegungen weniger um reale wissenschaftlich fundierte Sicherheitsbedenken ging – eine überwältigende Mehrheit der wissenschaftlichen Studien bezeugt einen unbedenklichen Anbau von Golden Rice –, sondern um eine grundlegende Ablehnung von grüner Gentechnik und der Patentierung von Saatgut. Mit Millionenbeträgen wurde juristisch und politisch interveniert, bis hin zur (sehr wahrscheinlich) organisierten Zerstörung von Versuchsfeldern. Völlig außer Acht gelassen wird jedoch die Tatsache, dass Golden Rice kein Produkt aus der Wirtschaft, sondern aus einem humanitären Projekt ist. Es gibt zwar Patente, jedoch sind Anbau-Lizenzen für Kleinbauern frei, und auch die Nachzucht von Saatgut ist erlaubt.

Ein wesentliches Argument der Gegner: „das Problem VAD kann einfacher durch Vitamin A Pillen gelöst werden.“ Die Hilfsorganisationen können jedoch nicht alle Gebiete, insbesondere solche mit schlechtester Infrastruktur, regelmäßig abdecken. Hinzu kommen die wesentlich höheren Kosten für die Pillen, die immer wieder über Spenden und staatliche Mittel eingeworben werden müssen. Und die ohnehin arme Bevölkerung gerät wieder in Abhängigkeit von Industrie, Spendengebern und Hilfsorganisationen. Golden Rice wäre hingegen eine Hilfe zur Selbsthilfe.

Unser Fazit

Die Sicherheit von Lebensmitteln ist von größter Bedeutung. Neue Sorten werden ständig, hauptsächlich durch konventionelle Züchtung, entwickelt. Dabei muss man wissen, dass gerade bei der konventionellen Züchtung eine umfangreiche und nicht vorhersagbare Durchmischung von Genomen mit immer neuen Mutationen stattfindet. Welche Auswirkungen diese Mutationen oder ihre Kombinationen haben, weiß man nicht. Im unserem Blogartikel „Mutanten“ zeigen wir, wie das Reisgenom in einer Zuchtreihe unbemerkt verändert wurde. Diese Unmenge an Mutationen wurde erst entdeckt, als man die DNA aus verschiedenen Zwischenprodukten der Zucht vollständig sequenzierte.

Das bedeutet nun nicht, dass Produkte der Pflanzenzüchtung hochgefährlich sind, ebenso wenig wie Produkte der Gentechnik. Diese Schlussfolgerung zieht das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Bericht über 25 Jahre biologische Sicherheitsforschung. In jedem Fall ist aber eine verantwortungsvolle Sicherheitsanalyse erforderlich. Dabei muss aber das jeweilige Produkt geprüft werden und die Art der Prüfung darf nicht vom Verfahren bestimmt werden, wie das Produkt hergestellt wurde.

Gleichzeitig gilt es zwischen Risiken und Vorteilen abzuwägen. Bei keinem Produkt können Risiken zu 100% ausgeschlossen werden. Wenn das Vorsorgeprinzip so interpretiert wird, dass absolute Sicherheit die Voraussetzung für die Zulassung einer neuen Sorte ist, dann wird keine neue Sorte mehr auf den Markt kommen. Das ist aber nötig, denn neue Sorten – sowohl mit als auch ohne Gentechnik – können einen entscheiden Beitrag zum Erhalt von Biodiversität und zur Bekämpfung des Klimawandels leisten. Beispiele dafür sind Pflanzen, die weniger Wasser, Dünger oder Pestizide brauchen, besser an Hitze und Trockenheit angepasst sind oder eine verbesserte Photosynthese-Rate haben.

Letztendlich ist es auch eine Aufgabe der Politik, der Wirtschaft und der Wissenschaft, dafür Sorge zu tragen, dass durch neue Sortenentwicklung keine sozialen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten oder Abhängigkeiten entstehen. Gleichzeitig muss die Versorgung mit Lebensmitteln sichergestellt und die weltweite Hungerproblematik gelöst werden. Eine ergebnisoffene und gleichzeitig faktenbasierte Diskussion in der Bevölkerung und auf diversen Entscheidungsebenen ist dafür unumgänglich, aber eben aufgrund der bestehenden Vorurteile und der Komplexität des Themas umso schwieriger.

Ein klarer Fall für Wissenschaftskommunikation und einen Dialog auf Augenhöhe!

Zu der Thematik hat BioWissKomm ein Interview mit Ingo Potrykus, Miterfinder und „Gesicht“ des Golden Rice, geführt.

Die abenteuerliche Geschichte des Golden Rice kann man auch in der Autobiographie von Ingo Potrykus nachlesen (englisch).

Nachtrag vom 27.4.2023

Der Supreme Court in Manila hat geurteilt, dass der Anbau von Golden Rice (und Bt-Brinjal) gestoppt wird Damit ist die vorsichtig optimistische Sichtweise des Interviews hinfällig. Auf die Frage, ob er weitere Aktionen der NGOs gegen Golden Rice erwartet, hatte Potrykus mit einem simplen „Ja“ geantwortet. Das bestätigt sich nun.

Dem weltweiten Konsortium mächtiger Anti-Gentechnik-Organisationen ist es wieder einmal gelungen, Einfluss auf nationale Rechtsprechung zu nehmen. Folgerichtig lobt Greenpeace den „Gewinn für die philippinischen Bauern“. Der „Gewinn“ besteht voraussichtlich in mehreren 100.000 Opfern durch Mangelernährung. Eine Verantwortung dafür werden die NGOs wohl kaum übernehmen. Das gleichzeitige Verbot zum Anbau von Bt-Brinjal (Aubergine) wird ebenfalls Todesopfer fordern: in Bangladesch wird Bt-Brinjal seit 2014 angebaut.  Die Ergebnisse der Evaluation sind in der Grafik gezeigt.


Interessant: in Indien ist Bt-Brinjal inzwischen wieder verboten. Die Kleinbauern helfen sich jedoch selbst: an der Grenze zu Bangladesch ist ein blühender Schwarzmarkt mit Bt-Saatgut entstanden.