Das Mikrobiom – unsichtbare Welten

(Hanna F. Willenbockel, TU Braunschweig, BioWissKomm)

Spricht man von Mikroorganismen oder dem Mikrobiom denken, die meisten vermutlich als erstes an Bakterien, vielleicht sogar direkt an Krankheiten. Das Mikrobiom umfasst aber eine sehr viel komplexere Welt und den schlechten Ruf hat es ebenfalls nicht verdient. In den letzten Jahrzehnten wurde mehrfach versucht den Begriff „Mikrobiom“ neu zu definieren, wobei die meisten allerdings scheiterten, die tatsächliche Komplexität zu erfassen. Sucht man den Begriff über Google, bekommt man die Antwort, dass es sich um ein mikrobielles Ökosystem handelt, mit spezifischen chemischen und physikalischen Eigenschaften, in einem definierten Lebensraum, bei dem es sich um den Darm eines Insekts, den Rachenraum eines Menschen oder das Sediment eines Flusses handeln kann. Diese Beschreibung trifft es sehr gut. Mikrobiome sind sehr spezifisch und unterscheiden sich z.B. deutlich in der menschlichen Nase und in der Achselhöhle.

Bakterien, Pilze, Archaeen, Algen und Protisten (Einzeller) können einem Mikrobiom angehören. Man kann sich darüber streiten, ob Viren, Bakteriophagen und Ähnliches dazu gezählt werden sollten. Viren werden nicht unbedingt als „lebendig“ bezeichnet, weil sie keinen Stoffwechsel haben. Sie tragen aber schon zur Zusammensetzung und Diversität des Mikrobioms bei. Möchte man sichergehen, ist es sinnvoll in Mikrobiom und Mikrobiota zu unterscheiden. Mikrobiota bezeichnet nur die lebenden Organismen, während Mikrobiom auch alle nicht lebenden Bestandteile umfasst, wie freie Nukleinsäuren, Enzyme oder Strukturelemente, welche ebenfalls die Aktivität des Mikrobioms bestimmen.

Abb. 1: Zusammensetzung des Mikrobioms

Mikrobiome sind im Prinzip überall zu finden. Sie sind an ihre Umgebung angepasst und interagieren auch mit makroskopischen Organismen, wie zum Beispiel uns Menschen. Streng genommen ist es noch eine Frage der Definition ob sie auch ohne Wirt vorkommen. Man sollte sich also nicht wundern, wenn in einer Quelle steht, dass Mikrobiome nur in Zusammenhang mit Wirten vorkommen und in einer anderen ist die Rede vom Boden- oder Wassermikrobiom. Leben die Mikroorganismen aber in Verbindung mit einem Wirt, wie auf unserer Haut, in unserem Darm, auf Pflanzen oder Tieren, gehen sie Beziehungen ein. Diese können sich sowohl positiv als auch negativ auf den Wirt auswirken, oder auch gänzlich neutral, ohne dass ein Partner einen Effekt verspürt. Selbstverständlich können einige Mikroorganismen Krankheiten auslösen. Diese bilden aber nur einen sehr geringen Teil der Gesamtmenge. Die meisten haben eher positive Effekte für ihren Wirt oder sind sogar absolut erforderlich. So können beispielsweise Termiten nur mit Hilfe ihres Mikrobioms Holz (Zellulose) verdauen. Hinzu kommt, dass die verschiedenen Partner in einem Mikrobiom auch miteinander interagieren. Gerät das Gleichgewicht zwischen verschiedenen Bakterien durcheinander, so kann das zu schweren Komplikationen führen. Ein gesundes Mikrobiom sorgt für einen gesunden Wirt. Wie unser Darmmikrobiom, das nicht nur bei der Verdauung hilft, sondern auch Einfluss auf die gesamte Gesundheit hat und wie es scheint, sich sogar auf unserer Psyche auswirken kann.

Die Komplexität von Mikrobiomen macht sie zum einen so spannend, zum anderen aber auch so schwer zu verstehen. Dank ihrer Eigenschaften finden sie in vielen Bereichen, wie der Medizin, Agrikultur oder Industrie, praktische Anwendung. Trotz großer Fortschritte sind Mikrobiome aufregende Rätsel mit potentiell unendlichen Möglichkeiten geblieben. Sie bilden eine für uns unsichtbare Welt, deren Zusammensetzung und Zusammenspiel wir besser verstehen wollen.

Literatur:
Berg et al. Microbiome (2020) 8:103
Full text link: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7329523/

Ergänzung (19.10.2022, W. Nellen)

Mikrobiome, im Sinne von kooperativen oder symbiotischen Mikrobengemeinschaften in bestimmten Lebensräumen, haben eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von Eukaryoten gespielt. Der Artikel in „The Scientist“ ist ziemlich ausführlich und für etwas fortgeschrittenere Leser (z.B. Oberstufenschüler) geeignet. Er ist eine sehr gute Grundlage, um die Szenarien zu diskutieren, die zu den modernen, eukaryotischen Zellen mit ihren vielen Funktionen geführt haben.

https://www.the-scientist.com/features/the-long-and-winding-road-to-eukaryotic-cells-70556?fbclid=IwAR3hjlyOY1Zt-8jYkZEOqf_PqdzBCMdSjmsSpzGdElgiYZCW0LPkPwLHBDY

From Three Domains to Two
The question of where exactly eukaryotes branch on the tree of life has been debated by scientists for decades. But the discovery of the Asgard archaea—the closest prokaryotic relatives to modern eukaryotes—has shifted most researchers away from a three-domain tree in which eukaryotes are a distinct lineage and toward a two-domain tree, in which eukaryotes emerged from within the archaea as a secondary domain. (© NICOLLE FULLER, SAYO STUDIO, from the paper listed above)